Squeeze out – und die Bestimmung der Barabfindung

Eine empirisch genaue Festlegung der Marktrisikoprämie ist – nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft – nicht möglich.

Die Bestimmung des Betafaktors erfolgt unter Berücksichtigung des unternehmenseigenen Betafaktors und der Betafaktoren von Peer Groups. Der Wachstumsabschlag muss nicht notwendig der erwarteten Inflationsrate entsprechen.

Angemessen ist eine Abfindung, die dem ausscheidenden Aktionär eine volle Entschädigung dafür verschafft, was seine Beteiligung an dem Unternehmen wert ist, die also dem vollen Wert seiner Beteiligung entspricht1. Zu ermitteln ist deshalb der Grenzwert, zu dem der außenstehende Aktionär ohne Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden kann2. Für die Bemessung der Abfindung müssen die am Stichtag – hier dem 15.07.2005 – bestehenden Verhältnisse der beherrschten Gesellschaft berücksichtigt werden (§ 305 Abs. 3 Satz 2 AktG). Der angemessene Ausgleich und die angemessene Abfindung unterliegen in einem weiten Umfang richterlicher Schätzung (§ 287 ZPO). Hierbei ist es nicht möglich, mathematisch einen genauen Unternehmenswert zum Stichtag festzulegen. Es muss vielmehr auch hingenommen werden, dass eine Bandbreite von unterschiedlichen Werten als angemessene Abfindung besteht3.Die Bewertung in diesem Bereich ist nur eine mit Unsicherheiten behaftete Schätzung und keine punktgenaue Messung. Das folgt schon daraus, dass eine Unternehmensbewertung auf Prognosen über künftige Entwicklungen beruht, von denen es nicht nur eine Richtige gibt und die im seltensten Fall auch so wie vorhergesagt eintreffen4.

Nach der Ertragswertmethode sind die den Aktionären zukünftig zufließenden Erträge der Aktiengesellschaft zu schätzen und mit dem Kapitalisierungszinssatz abzuzinsen; der Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens ist hinzuzurechnen. Danach wird der Unternehmenswert nach den erwarteten Gewinnen in der Zukunft aus der Sicht eines Unternehmenskäufers ermittelt. Die zu erwartenden Gewinne können naturgemäß nur aus einer ex-ante-Betrachtung des maßgeblichen Stichtages, d.h. des Zeitpunkts der Beschlussfassung der Gesellschaft über den Unternehmensvertrag, geschätzt werden. Grundlage der Schätzung sind hierbei in der Regel die früheren Erträge der Gesellschaft in den vergangenen 3 bis 5 Jahren. Diese werden in die Zukunft fortgeschrieben, wobei bei der Prognose der zukünftigen Erträge nur solche positiven und negativen Entwicklungen berücksichtigt werden dürfen, die in dem fraglichen Zeitraum zumindest in ihrem Kern bereits angelegt und absehbar sind (sog. Wurzeltheorie). Die Ertragsaussichten der abhängigen Gesellschaft sind damit rückblickend von einem längst vergangenen Zeitraum aus zu beurteilen, ohne dass zwischenzeitliche Entwicklungen berücksichtigt werden dürfen5.

Kapitalisierungszins[↑]

Die den ausscheidenden Minderheitsaktionären zukünftig zufließenden Erträge des betriebsnotwendigen Vermögens sind um den Kapitalisierungszinssatz zu diskontieren, um ihren Barwert zu erhalten. Der Kapitalisierungszinssatz setzt sich aus einem risikolosen Basiszinssatz sowie einem Risikozuschlag zusammen. Außerdem ist in der der Detailplanung (Phase I) nachgelagerten Phase II ein Wachstumszuschlag zu berücksichtigen6.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe erachtet dabei unter Berücksichtigung des IWD S 1 2005 angenommenen Kapitalisierungszinssätze für zutreffend.

Gemessen hieran ist bei der Bestimmung der für den Kapitalisierungszinssatz maßgeblichen Faktoren (Basiszinssatz, Marktrisikoprämie, Betafaktor, Wachstumszuschlag) von den nachfolgenden Erwägungen auszugehen.

Basiszinssatz[↑]

Der Basiszinssatz wird aus dem durchschnittlichen Zinssatz für öffentliche Anleihen oder für langfristige festverzinsliche Wertpapiere aus landesüblichen Zinssätzen für (quasi)risikofreie Anlagen am Kapitalmarkt abgeleitet7. Durch die Abzinsung der künftigen Erträge auf den Stichtag soll nämlich der Betrag ermittelt werden, dessen Erträge bei einer realistischen Verzinsung den zu erwartenden Unternehmenserträgen entsprechen. Für den Basiszinssatz kommt es deshalb auf die aus der Sicht des Stichtags auf Dauer zu erzielende Rendite öffentlicher Anleihen und nicht auf die aktuelle Rendite an8. Für den Basiszinssatz sind somit nicht die am Bewertungsstichtag zu beobachtenden Zinssätze maßgeblich, sondern die aus Sicht des Bewertungsstichtags auf Dauer zu erzielende Verzinsung9. Jedenfalls aus diesem Grunde ist der vom Beschwerdeführer zu 45 vertretene abweichende Ansatz nicht überzeugend.

Der Basiszinssatz wurde vorliegend nach den von der Deutschen Bundesbank veröffentlichten Zinsstrukturkurven ermittelt. Die Bundesbank ermittelt die notwendigen Parameter für die Ableitung einer durchschnittlichen Zinsstrukturkurve – unter Verwendung des so genannten „Svensson-Verfahren“ – seit Mitte 1997 börsentäglich10. Da die geschätzten langfristigen Zinsentwicklungen jeweils in kurzen Abständen auch stark schwanken können, stellen die Empfehlungen des IDW 2005 auf die Ermittlung von Mittelwerten für die einzelnen Schätzparameter über einen Zeitraum von drei Monaten vor dem Bewertungsstichtag ab11.

Zu berücksichtigen ist, dass die Gerichte keineswegs einheitlich zu einem bestimmten Basiszinssatz kommen, der als Referenz für zukünftige Entscheidungen herangezogen werden könnte. Vielmehr führen unterschiedliche Stichtage, verschiedene methodische Ansätze in der Wirtschaftswissenschaft und der Bewertungspraxis sowie die Entwicklung der Wissenschaft und Bewertungspraxis im Zeitablauf dazu, dass von einem nach einheitlichen Grundsätzen abzuleitenden Basiszinssatz nicht die Rede sein kann. Das ist unvermeidliche Folge des Umstands, dass einerseits der Gesetzgeber auf nähere Vorgaben zur Bestimmung des Unternehmenswerts im Rahmen von Spruchverfahren verzichtet hat und andererseits in der Wirtschaftswissenschaft ein allgemeiner Konsens über die Ermittlung des Basiszinssatzes bisher nicht zustande gekommen ist12.

Der mit 4, 0% vor Steuern angenommene bzw. um die typisierte Ertragssteuer von 35% gekürzte Basiszinssatz von 2, 6% (Nachsteuergröße) ist nach alledem im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden.

Marktrisikoprämie[↑]

Der Basiszinssatz ist um einen Risikozuschlag zu erhöhen, da bei der Investition in ein Unternehmen im Gegensatz zur Anlage in öffentlichen Anleihen die Risiken der unternehmerischen Tätigkeit zu berücksichtigen sind. Die Marktrisikoprämie ist vorliegend im Wege der Schätzung unter Berücksichtigung des Tax-CAPM mit 5, 5% nach Steuern anzusetzen (§ 287 Abs. 2 ZPO).

Eine empirisch genaue Festlegung der Marktrisikoprämie ist nach dem aktuellen Stand der Wirtschaftswissenschaft nicht möglich13. Für die Marktrisikoprämie gilt – wie für alle anderen Berechnungsfaktoren, die in die objektive Unternehmensbewertung einbezogen werden, dass ein eindeutiges und von einem allgemeinen wirtschaftswissenschaftlichen Konsens getragenes Ergebnis nicht gefunden werden kann, weil eine ganze Reihe verschiedener Methoden existieren, die je nach Abgrenzungszeitraum, Ermittlungsmethode, Vor- oder Nachsteuerbetrachtung und Methoden der Durchschnittsbildung (arithmetisches oder geometrisches Mittel) zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Da die Kombination der Berechnungsmodelle verschiedener Sachverständige die Gefahr inkonsistenter Ergebnisse erhöhen würde, wird es in der Regel zur Schaffung einer geeigneten Schätzungsgrundlage notwendig sein, nicht die Modelle verschiedener Sachverständiger zu kombinieren, sondern dem vertretbaren Ansatz eines Sachverständigen zu folgen14. Es mag auch vertretbar sein, entsprechend der auf die Rechtsprechung des Landgerichts München gestützten Auffassung des Antragstellers zu 43, verschiedene Bewertungsansätze zu kombinieren. Das Oberlandesgericht ist aber nicht davon überzeugt, dass auf diese Weise eine genauere Schätzung zu erzielen wäre. Eine konsequente Anwendung eines solchen Vorgehens würde zudem erfordern, zunächst sämtliche in der Wirtschaftswissenschaft vertretenen Auffassungen zu identifizieren, von einem Sachverständigen jeweils einzeln auf ihre Vertretbarkeit überprüfen zu lassen und sodann eine Kombination vorzunehmen, die wiederum frei von systematischen Brüchen sein müsste. Diese Kombination allein würde aber keine von vornherein höhere Richtigkeitsgewähr bieten als die begründete, auf einer bestimmten vertretbaren Methode beruhende Schätzung eines Sachverständigen.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hält die vom Sachverständigen angewendete Methode der arithmetischen Mittelung der erhobenen Daten für eine unter mehreren zulässigen Schätzmethoden vertretbare Methode.

Nach dem Ergebnis der verwertbaren Studien und der Bewertungspraxis scheint es angemessen, die Marktrisikoprämie nach Steuern an der Mitte der Bandbreite von 5, 0% und 6, 0% nach Steuern auszurichten.

Für Bewertungen, zu deren Stichtag – wie hier – das steuerrechtliche Halbeinkünfteverfahren galt, ist die Anwendung des Tax-CAPM und der hier anzusetzenden Nachsteuermarktrisikoprämie nicht zu beanstanden. Dabei wird die aus der langjährigen Differenz zwischen der Rendite in Aktien und (quasi)risikofreien öffentlichen Anleihen ermittelte durchschnittliche Risikoprämie (Marktrisikoprämie) mit einem unternehmensspezifischen Faktor (Betafaktor) multipliziert. Diesem Kapitalmarktmodell kommt in der nationalen und internationalen Bewertungspraxis eine überragende Akzeptanz zu und es erzeugt ein hohes Maß an Vergleichbarkeit und Rechtssicherheit15. Die Verwendung des CAPM bzw. des Tax-CAPM ist darüber hinaus in der internationalen Praxis ein gängiges Modell zur Bestimmung der Risikoprämie. Dabei liegt der Nachsteuerwert über dem entsprechenden Vorsteuerwert. Das IDW empfahl für die Vorsteuermarktrisikoprämie einen Wert zwischen 4, 0% und 5, 0% und für die Nachsteuermarktrisikoprämien einen Wert zwischen 5, 0% und 6, 0%.

Im Rahmen der Nachsteuerbetrachtung gemäß IDW ES 1 2004 bzw. IDW S1 2005 ist es richtig, die Marktrisikoprämie – entsprechend auch der Vorgehensweise des vom Landgericht zur Bewertung beauftragten Sachverständigen – auf 5, 5% zu taxieren.

Der Sachverständige hat seiner Bewertung den Entwurf der „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“16 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW) in der Fassung vom 09.12.2004 zugrunde gelegt. Soweit sinnvoll und sachgerecht, wurde vom Sachverständigen auch die Neufassung vom 18.10.200517 bzw. vom 02.04.200818 berücksichtigt. Die Bewertung erfolgte damit nach den zum Bewertungszeitpunkt (hier: Hauptversammlung 15.07.2005) geltenden Bewertungsgrundsätzen, hier nach dem am 09.12.2004 verabschiedeten Entwurf IDW ES 1 n. F.19. Anwendbar sind auch solche neuen Methoden, die lediglich in einem Entwurf neuer Standards enthalten sind, soweit diese schon hinreichend anerkannt sind20. Dass bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes maßgebend vom IDW ES 1 2004 ausgegangen wurde, hat der Sachverständige bei der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes nochmals ausdrücklich angeführt. Die Frage einer rückwirkenden Anwendung eines neuen Bewertungsstandards auf den Bewertungsstichtag, die Gegenstand der durch das Oberlandesgericht Düsseldorf21 an den Bundesgerichtshof erfolgten Vorlage gemäß §§ 12 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 SpruchG, 28 Abs. 2 und 3 FGG a.F. ist, stellt sich damit im vorliegenden Verfahren nicht. Gegen die Anwendung der vom Sachverständigen seiner Bewertung zugrunde gelegten Bewertungsgrundsätze nach IDW S 1 2005 erinnern die Antragsteller/Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren auch weiter nichts.

Der Sachverständige hat vorliegend unter Heranziehung der Studie von Stehle aus dem Jahr 2004 und der IDW-Empfehlung die Marktrisikoprämie nach Steuern auf 5, 5% geschätzt. Dabei hat er die Vor- und Nachteile, die mit den unterschiedlichen Berechnungsmethoden – auch mit Blick auf das arithmetische zum geometrischen Mittel – verbunden sind, aufgezeigt und hat sich auch mit den von den Antragstellern aufgezeigten anderen empirischen Untersuchungen und Studien auseinandergesetzt.

Das Aufzeigen anderer Ergebnisse zur Ableitung der Marktrisikoprämie aus verschiedenen Studien und Gutachten in anderen Spruchverfahren durch die Antragsteller zeigt, dass unterschiedliche Stichtage, verschiedene methodische Ansätze in der Wirtschaftswissenschaft und der Bewertungspraxis dazu führen, dass von einer nach einheitlichen Grundsätzen abzuleitenden Marktrisikoprämie nicht ausgegangen werden kann. Dies basiert letztlich darauf, dass einerseits der Gesetzgeber auf nähere Vorgaben zur Bestimmung des Unternehmenswerts im Rahmen von Spruchverfahren verzichtet hat und andererseits in der Wirtschaftswissenschaft ein allgemeiner Konsens über die Ermittlung einer Marktrisikoprämie bisher nicht zustande gekommen ist22. Auch ein weiterer Sachverständiger wäre daher nicht in der Lage, diejenigen Fragen abschließend und zweifelsfrei zu klären, die seit Jahren Gegenstand einer bislang nicht abgeschlossenen intensiven Auseinandersetzung innerhalb der Wirtschaftswissenschaft sind. Solange die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion andauert, kann die Marktrisikoprämie nur durch eine stets mit Zweifeln behaftete Schätzung ermittelt werden23.

Eine solche begründete Schätzung hat der gerichtlich bestellte Sachverständige hier vorgenommen. Der Sachverständige hat sich mit den Beanstandungen der Beschwerdeführer zur Stehle-Studie24 auseinander gesetzt und sich im Ergebnis auch auf die Empfehlungen des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) gestützt. Allein das Hinzutreten weiterer, nicht zum konkreten Fall erstellter allgemeiner Studien und wissenschaftlicher Veröffentlichungen ist zudem für sich genommen nicht geeignet, den auf diese Weise von dem gerichtlichen Sachverständigen ausgearbeiteten und auf die Einwendungen der Beteiligten im Ergänzungsgutachten überprüften Schätzungsvorschlag in Frage zu stellen.

Insoweit ist auch kein weiteres Sachverständigengutachten zur Höhe der Marktrisikoprämie einzuholen. Auch ein weiterer Sachverständiger kann aus den oben bereits genannten Gründen die Fragen zur Bestimmung der Marktrisikoprämie nicht abschließend beantworten25. Es besteht damit auch kein Anlass, einen weiteren Sachverständigen das der Stehle-Studie zugrunde liegende Datenmaterial nochmals methodisch und zahlenmäßig untersuchen zu lassen. Das Oberlandesgericht hält daran fest, dass das aktienrechtliche Spruchverfahren nicht dazu dient, die Entwicklung in der Wirtschaftswissenschaft zu fördern. Es soll in erster Linie die von einem Gerichtssachverständigen zu vermittelnden Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung heranziehen, um zu einer für die Zwecke des Spruchverfahrens brauchbaren Schätzung des Unternehmenswerts zu kommen. Auf diese Weise kann dann auch zeitnah über eine angemessene Barabfindung entschieden werden26. Dieser Aufgabenstellung genügen das im Spruchverfahren erstellte Gutachten vom 16.12.2011 und das Ergänzungsgutachten.

Betafaktor[↑]

Während die Marktrisikoprämie die dem höheren Risiko einer Investition in ein Unternehmen allgemein Rechnung tragende Überrendite von Aktien gegenüber Renten abbildet, dient der Betafaktor im Rahmen der Bemessung des Risikozuschlags der Berücksichtigung des individuellen Risikos des zu bewertenden Unternehmens27. Dabei lässt sich der Betafaktor bei börsennotierten Unternehmen durch einen Vergleich der Kursschwankungen der Aktie des Unternehmens im Vergleich mit den Schwankungen des relevanten Marktindexes ermitteln. Schwankt der Aktienkurs im Gleichklang mit dem Marktindex, ist das Beta gleich eins. Bei einem Beta unter eins ist das Investitionsrisiko marktunterdurchschnittlich und umgekehrt bei einem Beta über eins marktüberdurchschnittlich28

Der Sachverständige hat im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des unternehmenseigenen Betafaktor und der Betafaktoren zweier Peer Group-Varianten einen unverschuldeten Betafaktor von 1, 15 angenommen. Diese Vorgehensweise ist vorliegend sachgerecht und nicht zu beanstanden.

Der Sachverständige hat zunächst den zweijährigen Betafaktor der Aktiengesellschaft auf Basis von wöchentlichen Renditen von Mitte März 2003 bis Mitte März 2005 unter Verwendung der Daten des Finanzdienstleisters Bloomberg ermittelt. Des Weiteren wurde der Betafaktor auf Basis von monatlichen Renditen ermittelt. Daraus ergibt sich für die Aktiengesellschaft ein unverschuldeter („unlevered“) Betafaktor von 1, 31 (raw) und 1, 20 (adjusted) bei einem Bestimmtheitsmaß von 0, 33.

Der Sachverständige hat in der Folge auf eine Vergleichsgruppe deutscher und europäischer börsennotierter Vergleichsunternehmen abgestellt. Diese Vorgehensweise entspricht der gängigen Bewertungspraxis und wird auch von der Rechtsprechung anerkannt. Der Sachverständige hat auch nachvollziehbar begründet, weshalb hier ein zweijähriger und auch ein fünfjähriger Betrachtungszeitraum gewählt worden ist. Grundsätzlich ist – so die Ausführungen des Sachverständigen – ein zweijähriger Betafaktor einem fünfjährigen Betafaktor vorzuziehen, da die Daten aktueller sind und somit die aktuelle Risikosituation des Unternehmens besser widerspiegeln. Umgekehrt kann ein längerer Analysezeitraum die Beeinflussung des Betafaktors durch kurzfristige Effekte vermindern. Bei den im Gutachten dargestellten Peer Group Varianten kann man weiterhin nach den nachvollziehbar begründeten Ausführungen des Sachverständigen feststellen, dass die Bestimmtheitsmaße der fünfjährigen Peer Group höher ausfallen, was tendenziell auf eine bessere Eignung der fünfjährigen Betafaktoren hinweist.

Unter Berücksichtigung dieser Einflussfaktoren hat der Sachverständige für die Bewertung der … AG daher unter Berücksichtigung des unternehmenseigenen Betas und der Betafaktoren der beiden Peer Group-Varianten gutachterlich einen „unlevered“ Betafaktor (adjusted) von 1, 15 angesetzt. Damit fehlt es an einer Präferenz für die alleinige Zugrundelegung des zweijährigen Betrachtungszeitraums.

Der Sachverständige hat sich vorliegend auch mit der Frage auseinandergesetzt, dass ein über 1, 0 liegender Betafaktor auf ein erhöhtes Risiko gegenüber dem Markt schließen lasse. Hierzu hat er ausgeführt, dass die … AG deshalb hohe operative Risiken aufweise, weil sie ausschließlich im Markt für SAP-bezogene Beratung und Implementierung tätig sei und daher einer hohen marktabhängigen Ertragsvolatilität ausgesetzt sei. Das Marktumfeld sei deshalb als schwierig zu bezeichnen, da gerade in Deutschland der Markt als gesättigt bezeichnet werden muss. Die Geschäftsentwicklung der … AG sei wegen der hohen Bedeutung der SAP-Software von deren Markterfolg abhängig. Auch zähle die … AG nicht Endverbraucher zu ihren Kunden. Insbesondere könne auch der Verlust von Schlüsselmitarbeitern zu rückläufigen Umsätzen führen. Unter Berücksichtigung der vom Sachverständigen konkret aufgezählten Bewertungsfaktoren ist damit auch das erhöhte Risiko der … AG umfassend begründet.

Wachstumsabschlag[↑]

Der Wachstumsabschlag hat die Funktion, in der Phase der ewigen Rente die zu erwartenden Veränderungen der Überschüsse abzubilden, die bei der nominalen Betrachtung gleichbleibend aus dem letzten Planjahr abgeleitet werden. Mit dem Wachstumsabschlag soll unter anderem dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Geldentwertung in einem Unternehmen besser aufgefangen werden kann als bei der Kapitalanlage in festverzinslichen Wertpapieren. Der Wachstumsabschlag dient demnach der Berücksichtigung der nachhaltig erwarteten Gewinnsteigerung des Unternehmens für den Zeitraum der ewigen Rente29.

Dies bedeutet nicht, dass der Wachstumsabschlag notwendig der erwarteten Inflationsrate entsprechen muss. Er richtet sich vielmehr danach, inwieweit das Unternehmen nachhaltig in der Lage ist, die in seinem Fall erwarteten, nicht notwendig mit der Inflationsrate identischen Preissteigerungen auf der Beschaffungsseite (z. B. Materialkosten, Personalkosten) durch entsprechende Preissteigerungen an seine Kunden weiterzugeben oder durch Effizienzsteigerungen zu kompensieren. Ob danach ein künftiges Wachstumspotential besteht, ist damit eine Frage aller Umstände des Einzelfalls. Einflussfaktoren sind die langfristige Markt- und Branchenentwicklung, die zu erwartenden Veränderungen der Wettbewerbssituation oder mögliche regulatorische Änderungen. Gesamtwirtschaftlich ist die Inflationserwartung von Bedeutung. Dagegen wird die allgemeine Inflationsrate anhand eines Verbraucherpreisindexes gemessen; ihr liegt ein Warenkorb zugrunde, der nicht diejenigen Waren abbildet, die von Unternehmen beschafft oder abgesetzt werden.30.

Die Annahme eines Wachstumsabschlags unterhalb der erwarteten Inflationsrate ist danach nicht per se unplausibel, weil sie fingiere, dass die Unternehmen damit in der ewigen Rente „schrumpften“. Dies trifft bereits deswegen nicht zu, weil ein Wachstumsabschlag von 1, 5% keine sinkenden, sondern nachhaltig steigende Erträge repräsentiert31.

Auch ein Verweis auf die Studien von Bark32 und Tinz33 führt zu keiner anderen Bewertung des Wachstumsabschlags. Die Studien können nur eine Aussage zu dem Durchschnitt aller Unternehmen treffen und können damit allenfalls einen Anhalt für das konkret zu bewertende Unternehmen geben. Auch lassen sich die Behauptungen zum durchschnittlichen Ergebniswachstum nicht zuverlässig verifizieren. Letzteres wäre aber Voraussetzung dafür, dass die vom Gutachter herangezogenen Bewertungsansätze nicht als geeignet anzusehen wären und nicht mehr Grundlage für eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO sein könnten34. Hiervon kann auch im vorliegenden Fall aus den angeführten Gründen nicht ausgegangen werden.

Auch der Hinweis auf die in diesem Zusammenhang zitierte Studie der Europäischen Zentralbank35 führt zu keiner anderen Beurteilung. Dort findet sich zwar für den Euroraum die Feststellung, dass von 1974 bis 2004 die Unternehmensgewinne stärker gestiegen seien als das Bruttoinlandsprodukt. Das Oberlandesgericht Karlsruhe36 hat bereits unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15.10.201337 ausgeführt, dass dieses Ergebnis von der Studie selbst relativiert wird. Denn neben dem Umstand, dass große Teile der Unternehmensgewinne durch Tätigkeiten in anderen Volkswirtschaften erzielt wurden, wird insbesondere darauf hingewiesen, dass die Zusammensetzung der Gruppe der Unternehmen im Untersuchungszeitraum mit der Änderung der Zusammensetzung der Aktienindizes gewechselt hat, so dass Rückschlüsse auf die langfristige Gewinnentwicklung allenfalls sehr bedingt möglich sind38.

Die in der EZB-Studie gewählte Methode ist für Zwecke der Unternehmensbewertung ungeeignet und zwar deshalb, weil die darin angesprochenen Unternehmensgewinne zu einem wesentlichen Teil auf Gewinneinbehalten basierten. Unterstelle man eine typische Ausschüttungsquote von rund 50%, so resultiere die Hälfte des tatsächlichen Gewinnwachstums auf der Thesaurierung.

Insoweit ist vorliegend auch kein Raum für ein thesaurierungsbedingtes Wachstum. Die Wertbeiträge aus Thesaurierung wurden vom Sachverständigen unmittelbar im Ertragswert berücksichtigt, das ausweist, dass sich das zu kapitalisierende Ergebnis aus dem Wertbeitrag aus Ausschüttung (nach persönlichen Steuern) und der fiktiven unmittelbaren Zurechnung der Wertbeiträge aus Thesaurierung zusammensetzt. Setzen sich die Nettoeinnahmen der Anteilseigner – wie hier – in der ewigen Rente aus den tatsächlich zu erwartenden Ausschüttungen und dem Wertbeitrag zusammen, der sich aus Thesaurierungen ergibt, bildet die fiktive unmittelbare Zurechnung der Thesaurierungen Teil des zukünftigen, durch Thesaurierung zu finanzierenden operativen Wachstums. Damit steht aber denknotwendig der thesaurierte Gewinnanteil für das weitere Gewinnwachstum im Unternehmen nicht mehr zur Verfügung. Eine zusätzliche und damit doppelte Berücksichtigung des operativen Wachstums kommt nicht in Betracht.

Verzinsung der Barabfindung[↑]

Durch das am 01.09.2009 in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrichtlinie (AURG) ist die Höhe der Verzinsung auf fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz erhöht und damit der allgemeinen gesetzlichen Regelung (§§ 288 Abs. 1, Satz 2, 291 Abs. 2 BGB) angepasst worden. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 305 Absatz 3 Satz 3 AktG bzw. § 327b Abs. 2 AktG dem weitgehenden Schutz des Minderheitsaktionärs damit ein weiteres Element hinzugefügt. In Ergänzung zu den verfahrensrechtlichen Vergünstigungen (§ 306 AktG) soll es den außenstehenden Aktionären möglich sein, ohne wirtschaftlichen Nachteil das Spruchverfahren einzuleiten und dessen Ergebnis abzuwarten39.

Zu erwähnen ist allerdings, dass die Zinspflicht der §§ 305 Absatz 3, 327b AktG aus dem Gesetz folgt. In die vorliegende Entscheidung kann die gesetzliche Verzinsung damit nur klarstellend aufgenommen werden40, sie muss es aber nicht. Den im Streitfall erforderlichen Titel kann der außenstehende Aktionär nur im Leistungsprozess erlangen (§ 16 SpruchG; Münchner Komm./Paulsen, 3. Aufl., AktG, § 305 Rn. 156). Gegenstand des Spruchverfahrens ist nur die Überprüfung der Angemessenheit des Ausgleichs und der Abfindung. Über eine individuelle höhere Verzinsung – etwa wegen Verzugs – ist ohnehin erst im Rahmen einer Leistungsklage zu entscheiden41.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 23. Juli 2015 – 12a W 4/15

  1. BVerfGE 14, 263, 284; BayObLG NJW-RR 1996, 1125 []
  2. BGHZ 138, 136; BayObLG AG 2006, 41; OLG München AG 2007, 246; Münchner Komm./Paulsen, AktG, 3. Aufl., § 305 Rn. 78 []
  3. OLG Karlsruhe – Beschluss vom 12.04.2012 – 12 W 57/10; BayObLG AG 2006, 41 -Rn. 17 []
  4. OLG Karlsruhe 12 W 57/10; OLG Stuttgart AG 2011, 420 []
  5. OLG Stuttgart AG 2004, 43 21; BayObLG AG 2002, 390; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.06.2010 – 12 W 87/07; Beschluss vom 21.01.2011 – 12 W 77/08; und Beschluss vom 12.04.2012 – 12 W 57/10 []
  6. OLG Karlsruhe – Beschluss vom 21.01.2011 – 12 W 77/08, juris und Beschluss vom 12.04.2012 – 12 W 57/10; OLG Stuttgart ZIP 2010, 274 196 ff. und AG 2011, 560 []
  7. BGH NJW 1982, 575; OLG Stuttgart AG 2007, 128; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl., Rn. 638 []
  8. OLG Düsseldorf I 26 W 8/06 36 []
  9. Großfeld, a. a. O., Rn. 647 []
  10. OLG Karlsruhe – Beschluss vom 16.07.2008 – AG 2009, 47, Rn. 61 []
  11. Großfeld, a.a.O., Rn. 657 []
  12. OLG Karlsruhe – Beschluss vom 21.01.2012 – 12 W 69/08; Beschluss vom 12.04.2012 – 12 W 57/10 []
  13. Großfeld, a.a.O., Rn. 801; OLG Stuttgart ZIP 2010, 274 222 ff. []
  14. OLG Karlsruhe Beschluss vom 06.02.2012 – 12 W 69/08, S. 33 []
  15. Münchener Komm./Paulsen, AktG, 3. Aufl., § 305 Rn. 126 und 136 []
  16. IDW ES 1 i. d. F.2004 []
  17. IDW S 1 2005 []
  18. IDW S 1 2008 []
  19. Kölner Komm./Koppensteiner, SpruchG, 3. Aufl., Anh. § 11 Rn. 56 []
  20. Kölner Komm./Koppensteiner, a.a.O., Anh. § 11 Rn. 63 []
  21. OLG Düsseldorf AG 2014, 817 = BGH II ZB 23/14 []
  22. OLG Karlsruhe – Beschluss v. 06.02.2012 – 12 W 69/08; Beschluss vom 22.06.2015 – 12a W 5/15 []
  23. OLG Karlsruhe – Beschuss. v. 01.04.2015 – 12a W 7/15 92; OLG Stuttgart, NZG 2011, 1346 383 []
  24. Stehle, WPg 2004, 906 ff. []
  25. OLG Karlsruhe AG 2013, 353 157; OLG Stuttgart, NZG 2011, 1346 383 []
  26. BayObLG NZG 2006, 156 17 []
  27. Simon/Leverkus, SpruchG, Anh. § 11 Rn. 129 []
  28. Simon/Leverkus, a.a.O., Anh. § 11 Rn. 129; Großfeld, a.a.O., Rn. 807 ff. []
  29. OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.07.2014 – 20 W 3/12 []
  30. OLG Karlsruhe, Beschluss. v. 01.04.2015 – 12a W 7/15; OLG Karlsruhe Beschluss vom 22.06.2015 – 12a W 5/15; OLG Karlsruhe, AG 2013, 765 []
  31. OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.10.2011 – 20 W 7/11; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.07.2014 – 20 W 3/12 []
  32. Bark, Der Kapitalisierungszinssatz in der Unternehmensbewertung, 2010 []
  33. Tinz, Die Abbildung von Wachstum in der Unternehmensbewertung, 2010 []
  34. OLG Stuttgart – Beschluss vom 17.07.2014 – 20 W 3/12 in NZG 2014, 1383 143 ff. []
  35. Monatsberichte der der EZB September 2007, S. 47 ff. []
  36. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01.04.2015 – 12a W 7/15 []
  37. OLG Stuttgart, AG 2014, 208 151 []
  38. OLG Stuttgart AG 2014, 208 []
  39. Münchner Komm./Bilda, 2. Aufl., AktG, § 305 Rn. 98 []
  40. Münchner Komm./Paulsen, 3. Aufl., AktG, § 305 Rn. 156 so zuletzt auch Oberlandesgericht – Beschluss vom 13.05.2013 – 12 W 77/08 (13), BeckRS 2013, 14368 []
  41. OLG Düsseldorf AG 2008, 822 []