Rentenversicherungspflicht für den AG-Vorstand
Mitglieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft sind in einer weiteren Beschäftigung nicht auf Grund Übergangsrechts von der Rentenversicherungspflicht ausgenommen, wenn sie am 6.11.2003 nicht auch als Vorstandsmitglieder im Handelsregister eingetragen waren.
Das Vorstandsmitglied kann sich nicht auf die Übergangsregelung des § 229 Abs 1a SGB VI berufen, die einen Vertrauensschutz in Bezug auf § 1 S 4 SGB VI in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung gewährt, indem die ab 1.01.2004 geltenden Neufassung dieser Norm nicht zur Anwendung kommt, wenn er nichtim Sinne von § 229 Abs 1a SGB VI am 6.11.2003 Mitglied des bei einer – bestehenden (und in das Handelsregister eingetragenen) – Aktiengesellschaft begründeten Vorstandes war.
§ 1 S 4 SGB VI ist durch Art 1 Nr 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (2. SGB VI-ÄndG) vom 27.12.20031 mit Wirkung zum 1.01.2004 neu gefasst worden. Danach sind Vorstandsmitglieder einer AG „in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt, wobei Konzernunternehmenim Sinne des § 18 des Aktiengesetzes als ein Unternehmen gelten“ (§ 1 S 4 SGB VI nF). Ebenfalls mit Wirkung ab 1.01.2004 hat der Gesetzgeber § 1 S 4 SGB VI nF die besondere Übergangsregelung des § 229 Abs 1a SGB VI an die Seite gestellt (Art 1 Nr 8 2. SGB VI-ÄndG). Nach dessen Satz 1 bleiben Vorstandsmitglieder einer AG, die am 6.11.2003 (= Tag der zweiten und dritten Lesung des Entwurfs des 2. SGB VI-ÄndG im Deutschen Bundestag) in einer weiteren Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit nicht (in der GRV) versicherungspflichtig waren, in dieser Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit nicht versicherungspflichtig. Bei Vorstandsbestellungen bis zum 6.11.2003 schreibt § 229 Abs 1a SGB VI also über den 31.12.2003 hinaus den Versicherungsstatus nach altem Recht – § 1 S 4 SGB VI in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung (§ 1 S 4 SGB VI aF) – für solche Beschäftigungen bzw rentenversicherungspflichtigen selbstständigen Tätigkeiten fort, die am Stichtag mit der Vorstandstätigkeit zusammentrafen, mithin auch für nicht konzernzugehörige Beschäftigungen2.
Zu diesem Personenkreis gehören nur Vorstandsmitglieder, die am Stichtag auch in persona (als Vorstände) in das Handelsregister eingetragen waren. Der zwar schon bestellte aber noch nicht eingetragene Vorstand kann daher für die Zeit ab 1.01.2004 die Übergangsregelung des § 229 Abs 1a SGB VI nicht für sich in Anspruch nehmen mit der Folge, dass auf ihn für die Zeit ab 1.01.2004 § 1 S 4 SGB VI nF anzuwenden ist, der seine Beschäftigung (hier: als Fachhochschullehrer) von der Rentenversicherungspflicht nicht ausnimmt, soweit diese nicht in dem Unternehmen ausgeübt wird, dem er als Vorstand angehört.
Das Bundessozialgericht hat zu Mitgliedern des Vorstandes einer AG, die am 6.11.2003 mangels Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister noch eine Vor-AG war, entschieden, dass sich diese auf die Übergangsregelung des § 229 Abs 1a SGB VI nicht berufen können, weil zu den „Mitgliedern des Vorstandes einer Aktiengesellschaft“ im Sinne dieser Vorschrift nur Vorstandsmitglieder einer bestehenden, dh bereits in das Handelsregister eingetragenen AG (§ 41 Abs 1 AktG) gehören und allein die Nichterfüllung dieses formalen gesetzlichen Tatbestandes dazu führt, dass Vorstandsmitglieder in ihren (weiteren) Beschäftigungen der Rentenversicherungspflicht unterliegen, ohne dass weitere Gesichtspunkte zu prüfen wären3. Das Bundessozialgericht hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es für die Belange des Rechts der Pflichtversicherung in der GRV insbesondere nicht darauf ankommt, in welchen Schritten, in welchen Organisationsformen und mit welchen Rechtsfolgen für die Mitglieder des Vorstandes sich die Verbandsgründung nach dem für AGen geltenden Sonderrecht des AktG vollzieht. Zur Begründung hat er auf den in der Rechtsprechung des BSG hervorgehobenen; und vom Gesetz sanktionierten Zweck der in § 1 S 4 SGB VI enthaltenden Typisierung verwiesen, Beschäftigte von der Rentenversicherungspflicht auszunehmen, die wegen der bei ihnen vermuteten wirtschaftlichen Verhältnisse gruppenspezifisch nicht des Schutzes und der Sicherheit der GRV bedürfen, und die Anwendung dieses Ausnahmetatbestandes einfacher, sicherer und gleichmäßiger zu gestalten und der Sozialverwaltung und den Gerichten für die Beurteilung der Rentenversicherungspflicht einfach festzustellende, ohne Weiteres überprüfbare Abgrenzungsmerkmale zu verschaffen. Das Bundessozialgericht hat weiter ausgeführt, dass das BSG die Grenzen der Auslegung des Ausnahmetatbestandes in ständiger Rechtsprechung danach bestimmt, ob der mit der typisierenden Regelung auch verfolgte Zweck, dem Rechtsanwender die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rentenversicherungspflicht mit vertretbarem Aufwand zu ermöglichen, durch eine Ausdehnung der Vorschrift gefährdet würde, und deutlich gemacht, dass eine Anwendung der genannten Vorschrift auf Vorstandsmitglieder einer Vor-AG nicht innerhalb des Normzwecks liegt, den das Gesetz mit der Typisierung (auch) verfolgt4; vor der Eintragung in das Handelsregister ist für den Arbeitgeber und den jeweiligen Versicherungsträger nämlich nicht sicher erkennbar, ob überhaupt auch nur die Eintragungsfähigkeit der AG gegeben ist.
An dieser Rechtsprechung hält das Bundessozialgericht trotz der im Schrifttum daran vereinzelt geäußerten Kritik5 fest. Er überträgt die in seinen Urteilen vom 09.08.2006 und 25.04.2007 aufgestellten Rechtsgrundsätze außerdem auf Fallkonstellationen wie die vorliegende, in denen am 6.11.2003 zwar die AG (als Gesellschaft) in das Handelsregister eingetragen war, nicht aber das neue Vorstandsmitglied (selbst). In solchen Fällen setzt § 229 Abs 1a SGB VI auch für die Person des Vorstandsmitglieds (selbst) voraus, dass für diese am Stichtag eine Handelsregistereintragung bestand.
Mit dem beschriebenen Normzweck, den das Gesetz mit der Typisierung verfolgt, wäre es nicht vereinbar, den schon wegen seines Ausnahmecharakters eng auszulegenden gesetzlichen Tatbestand auch auf solche Mitglieder des Vorstandes einer bestehenden, dh in das Handelsregister eingetragenen AG zu erstrecken, die ihrerseits (noch) nicht (als Vorstände) in das Handelsregister eingetragen sind. Vor allem der Arbeitgeber der Beschäftigung im Rahmen seiner Meldepflichten (§ 28a SGB IV), aber auch die Einzugsstelle und der Rentenversicherungsträger können nicht darauf verwiesen werden, bei der Beurteilung der Rentenversicherungspflicht die Bestellung des Vorstandes als körperschaftsrechtlichen Akt, also den Bestellungsvorgang in seinen einzelnen gesellschafts- und handelsrechtlich bedeutsamen Phasen (Aufsichtsratsbeschluss, dessen Kundgabe an das künftige Vorstandsmitglied und die Erklärung seines Einverständnisses bzw ihrer Entgegennahme durch den Aufsichtsrat) aufgrund einer Parallelwertung nachzuvollziehen. Zutreffend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass jedenfalls der Arbeitgeber der Beschäftigung über keine (weiteren) Ermittlungsmöglichkeiten verfügt, etwa über Tatsachen im Zusammenhang mit einer Bestellung zum Vorstandsmitglied (als körperschaftsrechtlichen Akt) keinen Beweis erheben könnte. Der Handelsregisterauszug, den das Vorstandsmitglied dem Arbeitgeber seiner Beschäftigung im Rahmen seiner Vorlagepflicht nach § 28o Abs 1 SGB IV zu übermitteln hat, manifestiert für den Arbeitgeber jedenfalls einfach und rechtssicher, dass die Bestellung zum Vorstandsmitglied in ihren einzelnen Phasen (hier: die Änderung in der Zusammensetzung des Organs) tatsächlich stattgefunden hat, wenn auch die Anmeldung zum Handelsregister und die darauf beruhende Eintragung für die Bestellung zum Vorstandsmitglied als solche aktienrechtlich keine Wirksamkeitsvoraussetzungen sind, mithin hierfür nicht konstitutiv wirken, sondern nur deklaratorische Bedeutung haben.
Das Bundessozialgericht hat für den Ausnahmetatbestand des § 1 S 4 SGB VI in seiner Rechtsprechung schon in der Vergangenheit in der bereits beschriebenen Weise einen der Normzwecke gerade auch darin gesehen dadurch der Sozialverwaltung und den Gerichten für die Beurteilung der Rentenversicherungspflicht einfach festzustellende, ohne Weiteres überprüfbare Abgrenzungsmerkmale zu verschaffen; ihnen sollte mithin eine Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rentenversicherungspflicht mit vertretbarem Aufwand ermöglicht werden6; nichts anderes kann unter Berücksichtigung der Belange der für Meldungen und Beitragsabführung für versicherungspflichtige Beschäftigte zuständigen Arbeitgeber gelten. Die im Wesentlichen schon zu § 3 Abs 1a Angestelltenversicherungsgesetz ergangene Rechtsprechung hat der Gesetzgeber – worauf das Bundessozialgericht ebenfalls schon zuvor hingewiesen hat7 – in der Folgezeit bestätigt und in seinen Willen aufgenommen.
Zwar hat die Eintragung eines (neuen) Vorstandsmitglieds in das Handelsregister (§ 81 AktG) für dessen Bestellung (§ 84 AktG) im Aktienrecht eine geringere (rechtliche) Bedeutung als die Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister (§§ 36, 38, 39 AktG) für das Entstehen der AG (vgl § 41 AktG). Die Vorstandsbestellung wird aktienrechtlich grundsätzlich außerhalb des Handelsregisters wirksam, sodass etwa eine (zunächst) unwirksame Bestellung später nicht (allein) durch die Handelsregistereintragung und deren Bekanntmachung konstitutiv zur Wirksamkeit gelangt8. Die Eintragung des Vorstandsmitglieds hat lediglich deklaratorische Bedeutung und bewirkt rechtlich nur den Schutz gutgläubiger Dritter im Rechtsverkehr (vor allem die Publizität der Vertretungsverhältnisse). Dem Registergericht obliegt insoweit keine gesonderte Prüfung.
Diese an den praktischen Bedürfnissen des Aktienrechts orientierten Differenzierungen können in das Rentenversicherungsrecht jedoch nur übernommen werden, wenn sie mit dem dem § 1 S 4 SGB VI vom BSG beigelegten; und vom Gesetz sanktionierten – Typisierungszweck nicht in Widerspruch stehen. Das wäre aber der Fall, wenn bestellte Mitglieder des Vorstandes einer AG auch dann in den Genuss des über § 229 Abs 1a SGB VI vermittelten Vertrauensschutzes für das alte Recht kämen, für die am 6.11.2003 (noch) keine Handelsregistereintragung bestand. Auch wenn eine Kontrolle der Rechtswirksamkeit der Vorstandsbestellung durch das Registergericht nicht stattfindet, wirkt die Handelsregistereintragung (und ihre Bekanntmachung) doch rechtsbekundend in dem Sinne, dass sie in tatsächlicher Hinsicht die Organstellung als Mitglied des Vorstandes einer AG nach außen verlautbart mit den entsprechenden Rechtsfolgen für den Verkehrsschutz. An diese – zwar handelsrechtlich begründete – Publizitätswirkung des Handelsregisters hinsichtlich des tatsächlichen Bestellungsvorgangs in seinen einzelnen Phasen (vgl auch – für den ersten Vorstand – § 37 Abs 4 Nr 3 AktG) ist für den vorliegenden Zusammenhang des Rechts der Pflichtversicherung in der GRV in einer verallgemeinernden Betrachtungsweise anzuknüpfen.
Bundessozialgericht, Urteil vom 5. März 2014 – B 12 KR 1/12 R
- BGBl I 3013 [↩]
- vgl – zur Gesetzes- und Rechtsprechungsentwicklung, den Gründen für die ab 1.01.2004 geltenden Neuregelungen und deren Auswirkungen auf die unterschiedlichen Fallgruppen – bereits BSGE 97, 32, SozR 4-2600 § 229 Nr 1, RdNr 16 ff sowie die nicht veröffentlichten BSG, Urteile vom 09.08.2006 und 25.04.2007 in den Parallelverfahren B 12 KR 7/06 R, B 12 KR 10/06 R, B 12 KR 24/05 R und B 12 KR 30/06 R [↩]
- vgl BSGE 97, 32, SozR 4-2600 § 229 Nr 1, RdNr 21; ferner die nicht veröffentlichten BSG, Urteile vom 9 .08.2006 und 25.04.2007 in den Parallelsachen B 12 KR 7/06 R, B 12 KR 10/06 R, B 12 KR 24/05 R und B 12 KR 30/06 R [↩]
- vgl BSGE 97, 32, SozR 4-2600 § 229 Nr 1, RdNr 22 [↩]
- etwa Plagemann, EWiR 2007, 155 f [↩]
- vgl hierzu die Nachweise in BSGE 97, 32, SozR 4-2600 § 229 Nr 1, RdNr 19 [↩]
- vgl BSGE 97, 32, SozR 4-2600 § 229 Nr 1, RdNr 22 [↩]
- vgl hierzu im Einzelnen Hefermehl/Spindler in: Kropff/Semler, MünchKomm zum AktG, Bd 3, 2. Aufl 2004, § 81 RdNr 19 f; ferner Hüffer, AktG, 10. Aufl 2012, § 81 RdNr 10 [↩]