Gehaltszahlung an den Gesellschafter – und die Insolvenzanfechtung
Wird eine Gehaltsforderung an einen Gesellschafter nach den Grundsätzen des Bargeschäfts gedeckt, liegt darin keine Befriedigung einer einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechende Forderung.
Unter dem Gesichtspunkt des Bargeschäfts (§ 142 InsO) werden Leistungen der Anfechtung entzogen, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in das Schuldnervermögen gelangt ist. Dieser Ausnahmeregelung liegt der wirtschaftliche Gesichtspunkt zugrunde, dass ein Schuldner, der sich in der Krise befindet, praktisch vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen würde, wenn selbst die von ihm abgeschlossenen wertäquivalenten Bargeschäfte der Anfechtung unterlägen. In diesem Fall findet wegen des ausgleichenden Vermögenswertes keine Vermögensverschiebung zu Lasten des Schuldners, sondern eine bloße Vermögensumschichtung statt1.
Eine Bardeckung ist gemäß § 142 InsO eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt. Durch die Worte „für die“ wird ausgedrückt, dass eine Bardeckung nur vorliegt, wenn Leistung und Gegenleistung durch Parteivereinbarung miteinander verknüpft sind. Nur eine der Parteivereinbarung entsprechende Leistung ist kongruent und geeignet, den Bargeschäftseinwand auszufüllen2.
Im Streitfall entspricht die Zahlung der Schuldnerin der Parteiabrede. Nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages stand dem Beklagten ein monatlicher Vergütungsanspruch von 5.500 € gegen die Schuldnerin zu. Tatsächlich hat die Schuldnerin auf die Lohnforderung für den Monat Dezember 2010 am 5.01.2011 einen Teilbetrag von 2.000 € gezahlt. Diese Teilzahlung steht mit der Parteivereinbarung in Einklang.
Die für ein Bargeschäft erforderliche Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung ist ebenfalls gegeben. Voraussetzung eines Bargeschäfts ist, dass der Leistung des Schuldners eine gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht. Nur dann ist das Geschäft für die (spätere) Masse wirtschaftlich neutral3.
Die von der Schuldnerin geleistete Zahlung glich die von dem Beklagten während des abgelaufenen Monats erbrachte Arbeitstätigkeit aus. Diese hatte für die Schuldnerin, die ihren Geschäftsbetrieb im fraglichen Zeitraum fortsetzte, praktischen Nutzen. Dabei ist davon auszugehen, dass der Beklagte als kaufmännischer Leiter des Unternehmens mit 5.500 € monatlich angemessen vergütet wurde. Anzeichen dafür, dass die geschuldete Vergütung in einem Missverhältnis zu dem übertragenen Verantwortungsbereich stand, sind nicht ersichtlich4. Überdies hat die Schuldnerin auf das dem Beklagten monatlich geschuldete Entgelt in Höhe von 5.500 € lediglich einen Teilbetrag über 2.000 € erbracht. Mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck des § 142 InsO ist es unschädlich, falls der Schuldnerin infolge der über den gesamten Monat erbrachten Arbeitstätigkeit des Beklagten im Vergleich zu der von ihr erbrachten Teilzahlung ein höherer Wert zugeflossen sein sollte5.
Der für ein Bargeschäft notwendige enge zeitliche Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung ist im Streitfall gegeben.
Unter dem Gesichtspunkt des Bargeschäfts werden gemäß § 142 InsO Leistungen privilegiert, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in das Schuldnervermögen gelangt ist. Leistung und Gegenleistung müssen beim Bargeschäft zwar nicht Zug um Zug erbracht werden. Allerdings setzt das in der Vorschrift enthaltene Tatbestandsmerkmal „unmittelbar“ voraus, dass Leistung und Gegenleistung in einem engen zeitlichen Zusammenhang ausgetauscht werden6. Der Gesichtspunkt der bloßen Vermögensumschichtung greift nur, wenn der Leistungsaustausch in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang vorgenommen wird7. Der hierfür unschädliche Zeitraum lässt sich nicht allgemein festlegen. Er hängt wesentlich von der Art der ausgetauschten Leistungen und davon ab, in welcher Zeitspanne sich der Austausch nach den Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs vollzieht8. Eine sich in „verspäteten Entgeltzahlungen“9 ausdrückende Kreditgewährung schließt, weil es notwendigerweise an einem engen zeitlichen Zusammenhang des Leistungsaustausches mangelt, ein Bargeschäft aus10. Danach fehlt es jedenfalls an einem unmittelbaren Leistungsaustausch, wenn monatlich fällige Lohnzahlungen zwei Monate nach Beendigung der damit korrespondierenden Arbeitstätigkeit erbracht werden11.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt hingegen bereits ein Bargeschäft vor, wenn der Arbeitgeber in der Krise Arbeitsentgelt für Arbeitsleistungen zahlt, die der Arbeitnehmer in den vorhergehenden drei Monaten erbracht hat12. Dieser im insolvenzrechtlichen Schrifttum – soweit ersichtlich – einhellig kritisierten Auslegung des § 142 InsO13 vermag der Bundesgerichtshof nicht zuzustimmen.
Soweit sich das Bundesarbeitsgericht darauf beruft, „dass in nicht wenigen Branchen eine verzögerte Zahlung der Vergütung schon fast die Regel ist“14, wird diese Würdigung schon im Ansatz dem Gesetzeszweck des § 142 InsO nicht gerecht, weil selbst ein verbreiteter Verstoß gegen Fälligkeitszeitpunkte nicht geeignet sein kann, die daran anknüpfenden Rechtsfolgen zu beseitigen. Die bei der Beurteilung eines Bargeschäfts zugrunde zu legenden allgemeinen geschäftlichen Gepflogenheiten beurteilen sich nach den Gebräuchen solventer Partner und werden nicht durch verspätete Zahlungen insolvenzgefährdeter Unternehmen beeinflusst, die unter Liquiditätsengpässen leiden15. Andernfalls wäre jeder Leistungsaustausch in der Krise als Bargeschäft zu bewerten, weil liquiditätsschwache Unternehmen typischerweise verzögert zahlen16.
Davon abgesehen wird der Befund branchenübergreifender Zahlungsverzögerungen nicht durch verifizierbare Tatsachen – anhand von empirischem Material oder auch nur anhand von Medienberichten – untermauert17. Es fehlt nicht nur jede Konkretisierung, um welche Branchen es sich handelt18; überdies wird der festgestellte Zeitraum der Zahlungsverzögerungen nicht näher präzisiert. Schließlich ist der von dem Bundesarbeitsgericht19 angeführte Beleg20 inhaltlich unergiebig. Ein allgemein verbreiteter Missstand verspäteter Lohnzahlung wäre von den über die Verhältnisse am Arbeitsmarkt wohl unterrichteten Gewerkschaften sicherlich längst öffentlichkeitswirksam angeprangert worden. Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich innerhalb des Arbeitslebens die allgemeine Gepflogenheit einer um drei Monate verspäteten Lohnzahlung herausgebildet hätte. Im Gegenteil begleichen die den Geschäftsverkehr prägenden wirtschaftlich gesunden Unternehmen, deren Zahl die in einer Krise befindlichen Betriebe im Gemeinwohlinteresse erfreulicherweise weit übersteigt, die Arbeitslöhne in aller Regel bei Fälligkeit.
Die weitere Erwägung des Bundesarbeitsgerichts, durch die Zahlung rückständigen Lohns werde „erkauft“, dass Arbeitnehmer zwecks Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs „bei der Stange bleiben“21, vermag die Annahme eines Bargeschäfts ebenfalls nicht zu tragen. In der Fortsetzung ihrer Arbeitstätigkeit liegt keine berücksichtigungsfähige Gegenleistung der Arbeitnehmer, weil die künftigen Leistungen ihrerseits wieder in Rechnung gestellt werden22.
Die Arbeitnehmer einseitig begünstigende Auslegung des § 142 InsO durch das Bundesarbeitsgericht ist zudem mit der Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz (Art.20 Abs. 3 GG) nicht vereinbar23.
Der Gesetzgeber hat mit der Schaffung der Insolvenzordnung – wie bereits das Vorblatt der Gesetzesbegründung betont – die allgemeinen Konkursvorrechte einschließlich derjenigen der Arbeitnehmer ausdrücklich beseitigt24.
Aufgrund dieser Gesetzesänderung waren nach Auffassung des Gesetzgebers für Arbeitnehmer keine sozialen Härten zu erwarten, weil für die Lohnausfälle der letzten drei Monate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Ausfallgeld gezahlt wird25. Lohnrückstände der Arbeitnehmer sollten durch das für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewährte Ausfallgeld gesichert werden26. Bei der Streichung der Konkursvorrechte ließ sich der Gesetzgeber von der allgemeinen Erwägung leiten, dass sich die Entscheidung über den Vor- oder Nachrang einer Gläubigerklasse nicht auf hinreichend überzeugende soziale Gesichtspunkte stützen lässt27. Wörtlich hat er insoweit ausgeführt28:
„Eine dem sozialen Schutzbedürfnis im Einzelfall gemäße Einordnung von Gläubigerklassen in einen Privilegienkatalog erscheint unmöglich. Jeder Vorrechtskatalog ist letztlich willkürlich. Schon das geltende Konkursrecht räumt keineswegs allen anerkanntermaßen sozial schutzwürdigen Gruppen ein Vorrecht ein. Anders als im Recht der Einzelvollstreckung in das Arbeitseinkommen (§§ 850 d, 850 f Abs. 2 ZPO) sind beispielsweise Unterhalts- und Deliktsgläubiger im Konkursverfahren nicht privilegiert. Das Bundesverfassungsgericht hat die Fragwürdigkeit jedes Privilegienkatalogs in seinem Beschluss zum Vorrecht für Sozialplanforderungen29 nachdrücklich herausgearbeitet.“
In der angeführten Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die Einordnung von Sozialplanabfindungen als Konkursforderungen im Range vor § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO kraft Richterrechts als mit der Verfassung (Art.20 Abs. 3 GG) unvereinbar beanstandet30. Dabei hat es betont, dass jedes Konkursvorrecht eine Ausnahme vom Gebot der Gleichbehandlung aller Konkursgläubiger bildet. Soweit ein Vorrecht nicht gesetzlich begründet ist, muss es deshalb nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bei der Regelung bleiben, dass Forderungen gegen den Gemeinschuldner einfache Konkursforderungen im Range des § 61 Abs. 1 Nr. 6 KO sind31. Da die Regelung nach Wortlaut, Systematik und Sinn abschließend ist, besteht keine verfassungsrechtlich anzu Regelungslücke, die es dem Richter erlaubt, für bestimmte Forderungen eine Privilegierung außerhalb dieses geschlossenen Systems zu begründen32.
Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt sich aus sozialpolitischen Gründen33 – wie nicht zuletzt die Gesetzesinitiativen, sie durch eine Änderung des Insolvenzanfechtungsrechts zu legalisieren, belegen34 – über die Schranken richterlicher Rechtsfortbildung hinweg, indem sie Arbeitnehmern unter Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal „unmittelbar“ mit Hilfe einer vom Wortlaut des § 142 InsO nicht mehr getragenen Auslegung im Gewand des Bargeschäftsprivilegs das vom Gesetzgeber ausdrücklich beseitigte Konkursvorrecht gewährt. Eine eindeutige gesetzgeberische Entscheidung darf der Richter nicht nach eigenen rechtspolitischen Vorstellungen durch eine abweichende judikative Lösung ersetzen35. Da § 142 InsO eine Ausnahmeregelung darstellt, ist aus rechtsmethodischen Gründen für eine erweiternde Auslegung von vornherein kein Raum36.
Infolge der Beseitigung jeglicher Vorrechte einzelner Gläubiger durch die Insolvenzordnung sind Arbeitnehmer und sonstige Gläubiger uneingeschränkt gleich zu behandeln37. Das Gebot der Gleichbehandlung als „Magna carta des Insolvenzrechts“38 hat allgemeine Geltung und ist darum ebenfalls im Rahmen der Insolvenzanfechtung zu beachten39. Die aus wohl erwogenen Gründen entfallenen Vorrechte können nicht in der Weise wiederbegründet werden, dass einzelnen Gläubigern wie Arbeitnehmern ein vom Gesetz nicht vorgesehener Schutz gegen Ansprüche aus Insolvenzanfechtung eröffnet wird, um contra legem durch Ausbildung eines „Sonderinsolvenzrechts für Arbeitnehmer“40 den Rechtszustand der früheren Konkursordnung wiederherzustellen41. Ein bevorrechtigter Zugriff auf das Schuldnervermögen kann einzelnen Gläubigern nur von Gesetzes wegen eingeräumt werden42, wie dies etwa durch die Umsetzung einer EU-Richtlinie geschieht, welche die bevorrechtigte Behandlung von Versicherungsforderungen bei Insolvenz eines Versicherungsunternehmens vorsieht43. Würde den Gerichten gestattet, die Anfechtungsvoraussetzungen im Blick auf unterschiedliche Gläubigergruppen jeweils zu differenzieren, liefe dies letztlich auf eine Zuteilung der Masse aufgrund richterlicher Billigkeitsentscheidung hinaus.
Jede Ausweitung der Rangordnung und jedes Mehr an Forderungen in vorgehenden Rangstellen bewirkt – wie das Bundesverfassungsgericht zu § 61 Abs. 1 KO überzeugend ausgeführt hat – eine Minderung der den nachrangigen, insbesondere letztrangigen Gläubigern verbleibenden Haftungsmasse, die regelmäßig schon durch ausgedehnte Sicherungsrechte der Geld- und Warenkreditgeber geschmälert ist. Deshalb ist zu betonen, dass jede Bevorzugung einzelner Forderungen zwangsläufig zu Lasten anderer Gläubiger geht und regelmäßig auch zu neuen Unstimmigkeiten bei der Verfahrensabwicklung führt44. Die Insolvenzanfechtung beruht auf dem Gerechtigkeitsgebot, das Ausfallrisiko solidarisch und gleichmäßig auf sämtliche Gläubiger einschließlich der Arbeitnehmer zu verteilen45. Folgerichtig kann es auch im Verhältnis zu Arbeitnehmern nicht Aufgabe des Insolvenzverfahrens sein, werthaltige Rechte einzelner Beteiligter zu Gunsten von Arbeitnehmern in Frage zu stellen46.
Viele Kleinunternehmer, etwa handwerkliche Familienbetriebe, befinden sich in einer Arbeitnehmern vergleichbaren wirtschaftlichen Lage, ohne – bei zutreffendem Verständnis – der auf § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO gestützten Anfechtung von verspätet erlangten Werklohnzahlungen mit dem Hinweis auf einen Baraustausch (§ 142 InsO) begegnen zu können. In ihrer Branche gesuchte Arbeitnehmer werden einen vorübergehenden Lohnausfall vielfach leichter verkraften können als etwa ein (Klein)Unternehmen Umsatzausfälle, die auf der Insolvenz eines langjährigen Hauptabnehmers beruhen. Dies gilt umso mehr für unterhalb des Vorstands als Arbeitnehmer angesiedelte Führungskräfte, die durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – will man nicht innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer rechtsschöpferisch differenzieren – ebenfalls geschützt werden. Sachgerechte Gründe für die unterschiedliche Behandlung dieser Gläubigergruppen sind nicht ersichtlich47. Mit der einseitigen Bevorzugung der Arbeitnehmer ist außerdem zwingend eine Verminderung der auf die sonstigen Gläubiger entfallenden Insolvenzquote verknüpft. Wie die Erfahrung lehrt, können insolvenzbedingte Forderungsausfälle Folgeinsolvenzen auslösen, die als Kettenreaktion für die Arbeitnehmer der nun betroffenen Unternehmen zu Lohnausfällen führen. Diese Konsequenz ist stets zu bedenken, wenn eine Beschränkung des Insolvenzanfechtungsrechts ins Auge gefasst wird.
Aus den vorstehenden Erwägungen kann entgegen der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts48 auch ein etwaiges Existenzminimum des Arbeitnehmers nicht mittels einer beschränkenden Auslegung der §§ 129 ff InsO anfechtungsfrei gestellt werden.
Es ist nicht Aufgabe der Gläubigergemeinschaft, sondern des Staates, etwaige durch eine Insolvenz zu Lasten bestimmter Gläubiger hervorgerufene unzumutbare Härten auszugleichen49. Zum Nachteil der Arbeitnehmer bestehende sozialrechtliche Schutzlücken sind innerhalb dieses Regelungswerks durch ergänzende Vorschriften etwa zum Bezug von Insolvenzgeld zu schließen50. Hingegen können nicht der Gläubigergesamtheit sich in einer Quotenminderung manifestierende Sonderopfer, wovon der Gesetzgeber selbst Gesellschafter verschont51, zugunsten von Mitgläubigern ohne gesetzliche Grundlage im Wege richterlicher Rechtsfortbildung aufgebürdet werden52. Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes enthält infolge seiner Weite und Unbestimmtheit keine unmittelbaren Handlungsanweisungen, die durch die Gerichte ohne gesetzliche Grundlage in einfaches Recht umgesetzt werden könnten53. Darum ist es den Gläubigern nicht zumutbar54, durch einen Quotenverzicht Lücken der Insolvenzgeldzahlung zugunsten von Arbeitnehmern als Mitgläubigern aufzufüllen55 oder deren Existenzminimum zu sichern56. Scheidet ein Schutz der Arbeitsplatzinteressen gegen den Markt aus57, kann ihnen auch im Verhältnis zu anderen Gläubigern nicht einfach kraft Richterrechts der Vorrang eingeräumt werden58.
Die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts läuft bei lebensnaher Betrachtung auf das Ergebnis hinaus, die Anfechtung generell zu versagen, wenn das damit verbundene Ergebnis für den Arbeitnehmer wirtschaftlich untragbar ist. Das Sozialstaatsprinzip kann bereits im Ansatz nicht zur Korrektur jeglicher hart oder unbillig erscheinenden Einzelregelungen dienen59. Davon abgesehen lässt die Würdigung die Interessen der vor Verfahrenseröffnung nicht befriedigten, regelmäßig die Mehrheit bildenden Gläubiger des Schuldners außer Betracht, die durch einen vollständigen Forderungsausfall ebenfalls untragbare Härten erleiden können60. Hier schafft die Insolvenzanfechtung den gebotenen Ausgleich, indem Zahlungen zur Masse gezogen und zur anteiligen Befriedigung sämtlicher unzumutbar belasteter – Gläubiger einschließlich des Anfechtungsgegners verwendet werden61. Zahlt ein Arbeitgeber etwa nur an bestimmte, für die Produktion besonders wichtige Arbeitnehmer Lohn, erscheint es sachgerecht, die weggegebenen Mittel durch eine Anfechtung für sämtliche Arbeitnehmer gleichmäßig verfügbar zu machen. Muss sich ein Arbeitnehmer mangels eines Vorrechts nach Verfahrenseröffnung ohne Rücksicht auf die Befriedigung seines Existenzminimums mit der Quote abfinden, so leuchtet nicht ein, dass er eine anfechtbar erworbene Zahlung unter dem Gesichtspunkt des Existenzminimums behalten darf62.
Im Streitfall sind die Voraussetzungen eines Bargeschäfts (§ 142 InsO) gegeben, weil die monatlich geschuldete Lohnzahlung innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit erfolgte.
Unter welchen zeitlichen Voraussetzungen verspätete Entgeltzahlungen des Arbeitgebers das Bargeschäftsprivileg genießen, wird im Schrifttum unterschiedlich beantwortet. Vereinzelt wird ein Bargeschäft bereits dann ausgeschlossen, wenn die Vergütung nicht nur einige Tage verspätet63 oder nicht einigermaßen pünktlich64 gezahlt wird. Als zeitliche Grenze des Bargeschäftscharakters einer verspäteten Lohnzahlung wird ferner eine Frist von drei Wochen genannt65.
Bei länger währenden Vertragsbeziehungen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Annahme eines Bargeschäfts zu verlangen, dass die jeweiligen Leistungen und Gegenleistungen zeitlich oder gegenständlich teilbar sind und zeitnah – entweder in Teilen oder abschnittsweise – ausgetauscht werden. Wenn zwischen dem Beginn einer anwaltlichen Tätigkeit und der Erbringung einer Gegenleistung mehr als 30 Tage liegen, ist ein Bargeschäft zu verneinen. Bei Anforderung eines Vorschusses ist eine anfechtungsrechtliche Bargeschäftsausnahme anzunehmen, wenn in regelmäßigen Abständen Vorschüsse eingefordert werden, die in etwa dem Wert einer zwischenzeitlich entfalteten oder in den nächsten 30 Tagen noch zu erbringenden Tätigkeit entsprechen.
Ferner kann vereinbart werden, Teilleistungen gegen entsprechende Vergütungen zu erbringen66.
Diese aus § 286 Abs. 3 BGB für die Annahme eines Bargeschäfts bei der Zahlung der Anwaltsvergütung hergeleiteten Grundsätze können mit der Modifizierung, dass die Frist von 30 Tagen nicht ab Beginn der Tätigkeit, sondern ab Fälligkeit der Vergütung zu berechnen ist, auf die Gewährung von Arbeitsentgelten bei monatlicher Lohnzahlung übertragen werden.
Die Vergütung der Arbeitnehmer ist gemäß § 614 Satz 1 BGB nach Leistung der Dienste zu entrichten. Ist die Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen, muss sie gemäß § 614 Satz 2 BGB nach dem Ablauf jedes einzelnen Zeitabschnitts beglichen werden. Bei monatlicher Vergütung ist dies grundsätzlich der erste Tag des Folgemonats67. Allerdings kann der Fälligkeitszeitpunkt durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung kollektivvertraglich abweichend – etwa auf den fünfzehnten Tag des Folgemonats68 – bestimmt werden69. Dem allgemeinen Rechtsverkehr entsprechen – wie auch im Streitfall – monatliche Lohnzahlungen, die ebenfalls monatlich abzurechnen und auszuführen sind70.
Die Rechtsprechung zum Unmittelbarkeitserfordernis bei der Vergütung anwaltlicher Dienstleistungen kann nicht unbesehen auf Arbeitnehmer übertragen werden. Arbeitnehmer unterliegen gemäß § 614 Satz 1 BGB regelmäßig einer Vorleistungspflicht71 und haben nach § 614 Satz 2 BGB bei entsprechender Bemessung Anspruch auf eine Vergütung nach Zeitabschnitten72. Im Falle einer Vorleistungspflicht kann im Blick auf den engen zeitlichen Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung nicht auf den Beginn der Tätigkeit des Arbeitnehmers abgestellt werden, weil ihm zu diesem Zeitpunkt noch kein Vergütungsanspruch zusteht73. Für diese Bewertung spricht die weitere Erwägung, dass eine Vergütung nach Zeitabschnitten von einer Woche oder einem Monat ihrer Natur nach einen Baraustausch nahelegt74.
Da der Vorleistung des Arbeitnehmers keine Kreditfunktion zukommt75, beurteilt sich die Unmittelbarkeit der Lohnzahlung nach dem Zeitraum zwischen der Fälligkeit des Vergütungsanspruchs und seiner tatsächlichen Erfüllung76. Mit dieser Maßgabe kann die Rechtsprechung zum Baraustausch bei anwaltlichen Beratungsleistungen auf Arbeitnehmer übertragen werden. Danach ist der für ein Bargeschäft erforderliche Unmittelbarkeitszusammenhang noch gegeben, wenn im Falle einer monatlichen Vorleistungspflicht die Entgeltzahlung innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit vorgenommen wird77. Für die Beurteilung als Bargeschäft ist es unschädlich, wenn der Fälligkeitszeitpunkt entsprechend den tarifvertraglichen Übungen anstelle des ersten Tages nicht länger als bis zum fünfzehnten Tag des Folgemonats hinausgeschoben wird78. Ist die Vergütung nach kürzeren Zeitabschnitten zu leisten, scheidet ein Bargeschäft aus, wenn zum Zeitpunkt der Zahlung bereits der Lohn für den nächsten Zeitabschnitt fällig war79.
Nach diesen Grundsätzen liegt im Streitfall eine Bardeckung (§ 142 InsO) vor.
Die monatliche Vergütung des Beklagten war von der Schuldnerin vertragsgemäß bis zum zehnten Tag des Folgemonats zu begleichen. Im Zeitpunkt der durch die Schuldnerin am 5.01.2011 bewirkten Zahlung standen die Gehälter des Beklagten für die Monate November und Dezember 2010 teilweise offen. Im Falle einer Zahlung auf das Gehalt für den Monat Dezember 2010, die noch vor dem spätesten Fälligkeitszeitpunkt des 10.01.2011 erfolgt wäre, läge ohne weiteres ein Bargeschäft vor. Nicht anders verhielte es sich, wenn mit der Zahlung das Gehalt für den Monat November 2010 getilgt werden sollte. Infolge der für dieses Gehalt zum 10.12 2010 begründeten Fälligkeit wäre auch bei einer am 5.01.2011 erfolgten Begleichung der für ein Bargeschäft unschädliche Zeitraum von 30 Tagen noch nicht verstrichen. Vor diesem Hintergrund bedarf es nicht der Prüfung, ob die bei der Zahlung vom 05.01.2011 auf den Monat Dezember 2010 gerichtete Tilgungsbestimmung (§ 366 Abs. 1 BGB) selbständig anfechtbar ist.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. Juli 2014 – IX ZR 192/13
- BGH, Urteil vom 23.09.2010 – IX ZR 212/09, WM 2010, 1986 Rn. 24 [↩]
- BGH, Urteil vom 23.09.2010, aaO Rn. 26 [↩]
- BGH, Urteil vom 11.10.2007 – IX ZR 195/04, WM 2008, 222 Rn. 9 [↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 02.02.2006 – IX ZR 67/02, BGHZ 166, 125 Rn. 48 [↩]
- MünchKomm-InsO/Kirchhof, 3. Aufl., § 142 Rn. 9; HK-InsO/Kreft, 7. Aufl., § 142 Rn. 7; Ehricke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2008, § 142 Rn. 4; HmbKomm-InsO/Rogge/Leptien, 4. Aufl., § 142 Rn. 10; Gehrlein in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 142 Rn. 18; Ganter, ZIP 2012, 2037, 2038 [↩]
- BT-Drs. 12/2443 S. 167 [↩]
- BGH, Urteil vom 19.12 2002 – IX ZR 377/99, WM 2003, 524, 528 [↩]
- BGH, Urteil vom 13.04.2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 Rn. 31; vom 21.06.2007 – IX ZR 231/04, WM 2007, 1616 Rn. 51; vom 11.02.2010 – IX ZR 104/07, WM 2010, 711 Rn. 31 [↩]
- BAG, Urteil vom 06.10.2011 – 6 AZR 262/10, BAGE 139, 235 Rn. 15 [↩]
- BGH, Urteil vom 19.12 2002, aaO; vom 16.11.2006 – IX ZR 239/04, WM 2007, 170 Rn. 15 [↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2002 – IX ZR 480/00, WM 2002, 1808, 1809 [↩]
- Urteil vom 06.10.2011, aaO Rn. 15 ff [↩]
- vgl. Huber, EWiR 2011, 817; ders., ZInsO 2013, 1049 ff; Ganter, ZIP 2012, 2037 ff; Plathner/Sajogo, ZInsO 2012, 581 ff; Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618 ff; Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197, 208 f; Smid, DZWIR 2013, 89, 110 f [↩]
- Urteil vom 06.10.2011, aaO Rn. 17 [↩]
- Jacobs/Doebert, aaO S. 622; Ganter, aaO S.2038, 2043 [↩]
- Brinkmann, aaO S.208 f [↩]
- vgl. Brinkmann, aaO; Plathner/Sajogo, aaO S. 584 [↩]
- Jacobs/Doebert, aaO S. 623 [↩]
- BAG, Urteil vom 06.10.2011, aaO Rn. 17 [↩]
- Bandte in FS Beuthien, 2009, S. 401, 405 [↩]
- BAG, Urteil vom 06.10.2011, aaO Rn. 18 [↩]
- BGH, Urteil vom 30.01.1986 – IX ZR 79/85, BGHZ 97, 87, 94; vom 23.09.2010 – IX ZR 212/09, WM 2010, 1986 Rn. 33; Ganter, aaO S.2043 f [↩]
- vgl. Huber, ZInsO 2013, 1049, 1054 f; Kreft, ZIP 2013, 241, 250 f [↩]
- BT-Drs. 12/2443 Vorblatt B.06. [↩]
- BT-Drs., aaO, sowie S. 90 [↩]
- BT-Drs., aaO S. 96 [↩]
- BT-Drs. 12/2443, S. 90 [↩]
- BT-Drs., aaO [↩]
- BVerfGE 65, 182 [↩]
- BVerfGE 65, 182, 190 ff. [↩]
- BVerfGE 65, aaO S.191 [↩]
- BVerfGE 65, aaO S.191 f [↩]
- vgl. bereits BVerfGE 65, aaO S.194 [↩]
- Huber, ZInsO 2013, 1049, 1054 f [↩]
- vgl. Kreft, ZIP 2013, 241, 250 [↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 23.09.2010 – IX ZR 212/09, WM 2010, 1986 Rn. 35; Ganter, ZIP 2012, 2037, 2038 [↩]
- Huber, aaO S. 1051, 1054; Lütcke, NZI 2014, 350, 351 [↩]
- Huber, aaO [↩]
- vgl. Huber, aaO S. 1054; Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618, 627; Plathner/Sajogo, ZInsO 2012, 581, 584; Lütcke, aaO [↩]
- Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197, 201 [↩]
- Brinkmann, aaO S. 212 [↩]
- vgl. BT-Drs. 12/2443 S. 90 [↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 14.07.2011 – IX ZR 210/10, WM 2011, 1483 Rn. 7 [↩]
- BVerfGE 65, 182, 192 [↩]
- Ries, ZInsO 2007, 1037 [↩]
- BT-Drs. 12/2443 S. 96 [↩]
- vgl. BVerfGE 65, aaO S.194 [↩]
- BAG, Urteil vom 29.01.2014 – 6 AZR 345/12, ZIP 2014, 628 Rn. 15 ff [↩]
- vgl. Vollrath, ZInsO 2011, 1665, 1675; Ganter, ZIP 2012, 2037, 2044; Plathner/Sajogo, ZInsO 2012, 581, 584; Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618, 627; Huber, ZInsO 2013, 1049, 1053; Lütcke, NZI 2014, 350, 351 [↩]
- Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197, 215 f [↩]
- BT-Drs. 16/9737 S. 59 [↩]
- vgl. BT-Drs. 12/2443 S. 96; Huber, aaO S. 1054 [↩]
- BVerfGE 65, 182, 193 [↩]
- Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197, 209; Lütcke, aaO [↩]
- in diesem Sinne BAG, Urteil vom 06.10.2011 – 6 AZR 262/10, BAGE 139, 235 Rn. 15 ff [↩]
- in diesem Sinne BAG, Urteil vom 29.01.2014 – 6 AZR 345/12, ZIP 2014, 628 Rn. 15 ff [↩]
- BT-Drs. 12/2443, aaO [↩]
- Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618, 623 [↩]
- BVerfGE 66, 234, 248; 67, 231, 239; 69, 272, 315 [↩]
- vgl. Ries, ZInsO 2007, 1037, 1038; Lütcke, aaO S. 352 [↩]
- Ries, aaO S. 1037; Lütcke, aaO S. 351 [↩]
- vgl. BVerfGE 65, 182, 194 [↩]
- Zwanziger, BB 2007, 42, 43 [↩]
- Klinck, AP InsO § 130 Nr. 1 unter III. [↩]
- Huber, NJW 2009, 1928, 1929; Vollrath, ZInsO 2011, 1665, 1666; Wegener, NZI 2009, 225 [↩]
- BGH, Urteil vom 13.04.2006 – IX ZR 158/05, BGHZ 167, 190 Rn. 34 ff.; vom 06.12 2007 – IX ZR 113/06, WM 2008, 229 Rn.20; Beschluss vom 18.09.2008 – IX ZR 134/05, NZG 2008, 902 Rn. 2; Urteil vom 15.12 2011 – IX ZR 118/11, WM 2012, 276 Rn. 25 [↩]
- MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, 6. Aufl., § 614 Rn. 11 [↩]
- Jacobs/Doebert, ZInsO 2012, 618, 622 [↩]
- MünchKomm-BGB/Müller-Glöge, aaO § 614 Rn. 2 [↩]
- Jacobs/Doebert, aaO S. 623 mwN; Wagner in Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung, 2. Aufl., Rn. O 83 [↩]
- Jacobs/Doebert, aaO S. 622; Lütcke, NZI 2014, 350, 352 [↩]
- Ganter, ZIP 2014, 2037, 2040, 2044 [↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2002 – IX ZR 480/00, WM 2002, 1808, 1809 [↩]
- Ganter, aaO [↩]
- Staudinger/Richardi, BGB, 2005, § 614 Rn. 11 [↩]
- Wagner in Kummer/Schäfer/Wagner, aaO; Jacobs/Doebert, aaO; Lütcke, NZI 2014, 350, 352 [↩]
- Bork, ZIP 2007, 2337, 2338 f; Ries, ZInsO 2007, 1037, 1038; Pieper, ZInsO 2009, 1425, 1431; Laws, ZInsO 2009, 1465, 1470; Ganter, aaO S.2040, 2044; Brinkmann, ZZP 125 (2012), 197, 208; Jacobs/Doebert, aaO S. 624; Wagner in Kummer/Schäfer/Wagner, aaO; ErfK/Müller-Glöge, 11. Aufl., InsO, Einführung Rn. 24; anders im Sinne des BAG nunmehr ders., aaO 14. Aufl., Rn. 24 b [↩]
- Jacobs/Doebert, aaO S. 622 [↩]
- Ries, aaO; Bork aaO; Jacobs/Doebert, aaO S. 623; Pieper, aaO; Ganter, aaO S.2044; Lütcke, NZI 2014, 350, 352 [↩]