Die Mindestjahresabnahmemenge im Bierlieferungsvertrag

Die Regelung in einem Bierlieferungsvertrag, wonach der Kunde und die Brauerei „einvernehmlich davon ausgehen“, dass der Kunde bei einer Vertragslaufzeit von 5 Jahren eine bestimmte Mindestabsatzmenge pro Jahr erreichen werde, bringt zwar eine Erwartung der Vertragspartner zum Ausdruck; eine Verpflichtung des Kunden, die angegebene Mindestmenge tatsächlich abzunehmen, lässt sich einer solchen Formulierung jedoch nicht ohne weiteres entnehmen.

Ein „Einvernehmliches-Davon-Ausgehen“ ist etwas anderes als eine vertragliche Pflicht, eine bestimmte Mindestmenge an Getränken pro Jahr von der Brauerei zu beziehen. Schon aus dem Wortlaut ergibt sich, dass eine Pflicht der beklagten Gastwirtin insoweit nicht gewollt war.

Der Sinn des „Einvernehmlich-Davon-Ausgehens“ erschließt sich aus der Vereinbarung. Mit der Formulierung „Auf dieser Bezugsmenge beruht die von der Brauerei zu erbringende Leistung“ haben die Parteien klargestellt, dass es (nur) darum ging, die „Leistung“ der Brauerei mit der vorgesehenen Absatzmenge von 71 hl Vertragsbier zu verknüpfen. Das bedeutet: Die Brauerei sollte – ohne Mindestbezugsverpflichtung der Gastwirtin – ihrerseits nicht mehr an die von ihr „zu erbringende Leistung“ gebunden sein, wenn die vorgesehene Absatzmenge von 71 hl nicht erreicht wurde.

Die rechtlichen Wirkungen des Nichterreichens der vorgesehenen Mindestmenge von 71 hl ergeben sich mithin allein aus der im Vertrag vorgesehenen „Leistung“ der Brauerei. Diese „Leistung“ der Brauerei war insbesondere der Investitionszuschuss in Ziffer 2 der Vereinbarung. Das Nichterreichen der Mindestmenge hatte daher die Wirkung, dass die Brauerei den Investitionszuschuss in voller Höhe zurückverlangen konnte.

Die Brauerei hat sich im Übrigen für die Vertragslaufzeit zu einer Rückvergütung für die jeweils „vertragsgemäß bezogenen“ Getränke verpflichtet; man wird daraus möglicherweise schließen können, dass auch die Pflicht zur Rückvergütung entfiel, wenn die Gastwirtin die Mindestmenge gemäß der Vereinbarung nicht erreichte. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, da auch die Frage der Rückvergütung nichts mit dem von der Brauerei im Rechtsstreit geltend gemachten Schadensersatzanspruch zu tun hat.

Die Auslegung des vorliegenden Vertrages entspricht zudem der üblichen Auslegung entsprechender Klauseln in Bierlieferungsverträgen. Wenn eine Brauerei sich für einen bestimmten Zeitraum eine Mindestabnahme durch den Gaststättenpächter sichern will, wird dies üblicherweise in entsprechenden Verträgen ausdrücklich im Sinne einer Verpflichtung formuliert, bestimmte Getränkemengen abzunehmen.1 Es kommt zwar in der Praxis auch vor, dass – insoweit ähnlich wie im vorliegenden Fall – die Vertragspartner lediglich eine „Erwartung“ bezüglich einer Mindestabsatzmenge formulieren. Bei derartigen Vertragsgestaltungen kommt ein Schadensersatzanspruch der Brauerei bei Unterschreiten der Mindestmengen jedoch nur dann in Betracht, wenn gleichzeitig – anders als im vorliegenden Fall – konkrete vertragliche Regelungen für den Fall eines Minderbezugs getroffen werden.2

Die Auslegung der Vereinbarung entspricht im Übrigen der korrespondierenden Vereinbarung im Pachtvertrag zwischen der Gastwirtin und dem Verpächter vom 20.12.2006. In diesem Pachtvertrag war eine vorformulierte „Mindestjahresabnahmemenge“ gestrichen. Es spricht unter diesen Umständen nichts dafür, dass die Brauerei am Anfang des Jahres 2007 die Absicht hatte, die Vereinbarung mit der Gastwirtin in Abweichung vom Pachtvertrag – also unter Einschluss einer verpflichtenden Mindestabsatzmenge – zu gestalten.

Diese Auslegung der Vereinbarung kommt aus den oben angegebenen Gründen zu einem eindeutigen Ergebnis. Ein Rückgriff auf § 305 c Abs. 2 BGB (Zweifel bei der Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen) ist nicht erforderlich. Es kann daher auch dahinstehen, ob es sich bei den Regelungen im Vertrag um Allgemeine Geschäftsbedingungen oder um eine Individualvereinbarung handelt.

Eine andere Auslegung käme nur dann in Betracht, wenn die Parteien sich bei Abschluss des Vertrages über eine vom Wortlaut abweichende Auslegung zu Ziffer 6 der Bestimmungen einig gewesen wären. Denn der wirkliche Wille der Parteien würde in einem solchen Fall – wenn die Vereinbarung versehentlich falsch formuliert wäre – vorgehen (sogenannte „falsa demonstratio“3). Die Beweislast dafür, dass die Parteien etwas anderes gewollt haben, als im Vertrag ausdrücklich geregelt (nämlich eine verpflichtende Mindestabsatzmenge), obliegt der Brauerei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Brauerei der Beweis eines abweichenden übereinstimmenden Willens der Vertragspartner jedoch nicht gelungen. Daher verbleibt es bei dem oben festgestellten Auslegungsergebnis des Vertrages.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 27. September 2012 – 9 U 188/10

  1. Vgl. beispielsweise den Sachverhalt, der der Entscheidung des BGH, NJW 1997, 933 zugrunde lag. []
  2. So beispielsweise im Fall des OLG Frankfurt, Urteil vom 13.11.2007 – 11 U 24/07 []
  3. vgl. Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 71. Auflage 2012, § 133 BGB Rn. 8 []