Der Auskunftsanspruch des Aktionäres und das Auskunftsverweigerungsrecht der Europäischen Aktiengesellschaft (SE)

Die Gesellschaft muss die ein Auskunftsverweigerungsrecht begründenden Umstände nicht darlegen und beweisen, sondern es genügt, diese Umstände plausibel zu machen.

Wenn der Vorstand in der Hauptversammlung entgegen § 131 Abs. 5 AktG die Gründe für die Auskunftsverweigerung nicht in die Niederschrift über die Verhandlung aufnehmen lässt, führt das nicht dazu, dass im Verfahren nach § 132 AktG Auskünfte erzwungen werden können, deren Offenbarung der Gesellschaft nicht unerhebliche Nachteile zufügen würde (§ 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG) oder hinsichtlich derer objektiv ein anderer in § 131 Abs. 3 AktG aufgeführter Auskunftsverweigerungsgrund vorliegt.

Der Vertraulichkeitsschutz und das mit diesem korrespondierende Recht des Vorstands, Auskünfte in der Hauptversammlung zu verweigern, erstreckt sich auch auf die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat im Bereich der Tätigkeit des Aufsichtsrats.

Das Auskunftsrecht des Aktionärs wird unter anderem durch das Kriterium der Erforderlichkeit in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG und durch das Auskunftsverweigerungsrecht des Vorstands aus § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG begrenzt.

Das Merkmal der Erforderlichkeit der Auskunft in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG zielt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf ab, missbräuchlich ausufernde Auskunftsbegehren zu verhindern, um die Hauptversammlung nicht mit überflüssigen, für eine sachgemäße Beurteilung des Beschluss- oder sonstigen Gegenstands der Tagesordnung unerheblichen Fragen zu belasten1. Entsprechend der Funktion des Auskunftsrechts, das auch zur Meinungs- und Urteilsbildung anderer Aktionäre, insbesondere der Minderheitsaktionäre, in der Hauptversammlung beitragen soll, ist Maßstab für die „Erforderlichkeit“ eines Auskunftsverlangens der Standpunkt eines objektiv urteilenden Aktionärs, der die Gesellschaftsverhältnisse nur auf Grund allgemein bekannter Tatsachen kennt und daher die begehrte Auskunft als nicht nur unwesentliches Beurteilungselement benötigt. Durch dieses Kriterium wird das Informationsrecht gemäß § 131 AktG in qualitativer und quantitativer Hinsicht sowie hinsichtlich seines Detaillierungsgrads begrenzt2.

§ 131 Abs. 1 Satz 1 AktG verstößt nicht gegen Art. 9 der Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften3 – nachstehend: Aktionärsrechterichtlinie , soweit das Auskunftsrecht des Aktionärs auf zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderliche Auskünfte beschränkt ist. Der Bundesgerichtshof hat nach dem Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden, dass die Begrenzung des Auskunftsrechts durch das Merkmal der Erforderlichkeit eine zulässige Maßnahme nach Art. 9 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 der Aktionärsrechterichtlinie darstellt4. Auf die Frage, ob mögliche Vorgaben der Aktionärsrechterichtlinie für die Auslegung von § 131 AktG nur insoweit gelten, als die Rechte von Aktionären mit Stimmrechtsaktien betroffen sind, kommt es daher im vorliegenden Fall nicht an5.

Der Vorstand darf die Auskunft nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG verweigern, soweit die Erteilung der Auskunft nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung geeignet ist, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen. Im Rahmen dieser Prüfung ist abzuwägen, ob von einer offenen Antwort auf die in der Hauptversammlung gestellten Fragen auch Vorteile für die Gesamtheit der Aktionäre und die Gesellschaft selbst zu erwarten sind, die zu befürchtende Nachteile aufwiegen6. Dies kann bei einem objektiv begründeten Verdacht schwerwiegender Pflichtverletzungen der Verwaltungsorgane der Gesellschaft in Betracht kommen7.

Die Aktiengesellschaft muss die ein Auskunftsverweigerungsrecht begründenden Umstände nicht darlegen und beweisen, sondern dass es genügt, die das Auskunftsverweigerungsrecht begründenden Nachteile plausibel zu machen8, und dass es demgegenüber Sache des Aktionärs ist, diejenigen Umstände darzulegen, aus denen ein vorrangiges Aufklärungsinteresse der Gesamtheit der Aktionäre und der Gesellschaft folgt9. Der gemäß § 26 FamFG geltende Untersuchungsgrundsatz wird im Auskunftserzwingungsverfahren relativiert, weil es in diesem Verfahren den Beteiligten obliegt, die für sie jeweils vorteilhaften Umstände darzulegen10.

Für die Frage, ob ein Auskunftsverweigerungsrecht besteht, kommt es allein auf die objektive Sachlage an. Die Aktiengesellschaft wird insoweit auch mit einer im Auskunftserzwingungsverfahren gemäß § 132 AktG nachgeschobenen Begründung gehört11. Dem steht nicht entgegen, dass nach § 131 Abs. 5 AktG auf Verlangen des Aktionärs die für die Auskunftsverweigerung angeführten Gründe in die Niederschrift über die Verhandlung aufzunehmen sind. Denn diese Vorschrift regelt lediglich eine Dokumentationspflicht in der Hauptversammlung, nicht aber die Folgen eines möglichen Begründungsmangels. Selbst wenn eine Begründungspflicht des Vorstands anzuerkennen wäre12, könnte ein Verstoß gegen diese Pflicht nicht dazu führen, dass im Verfahren nach § 132 AktG Auskünfte erzwungen werden könnten, deren Offenbarung der Gesellschaft nicht unerhebliche Nachteile zufügen würde (§ 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG) oder hinsichtlich derer objektiv ein anderer in § 131 Abs. 3 AktG aufgeführter Auskunftsverweigerungsgrund vorliegt13.

Der BGH, Entscheidung vom 15.05.200014 kann nicht entnommen werden, dass lediglich Geschäfte, die in „unmittelbarem Zusammenhang mit dem ‚Unternehmensgegenstand laut Satzung‘ stehen“, als zulässige Hilfsgeschäfte angesehen werden können15. Für die Abgrenzung ist vielmehr allein entscheidend, ob die Derivatgeschäfte dem Aufbau der Beteiligung an VW gedient haben oder ob sie auf eine selbstständige Gewinnerzielung gerichtet waren16. Letzteres hat das Beschwerdegericht auf der Grundlage seiner rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen verneint.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. Januar 2014 – II ZB 5/12

  1. BGH, Urteil vom 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385, 388 f. []
  2. BGH, Urteil vom 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385, 389; Urteil vom 16.02.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rn. 39 – Kirch/Deutsche Bank; Beschluss vom 05.11.2013 – II ZB 28/12, ZIP 2013, 2454 Rn.20 []
  3. Abl. L 184 vom 14.07.2007, S. 17 ff. []
  4. BGH, Beschluss vom 05.11.2013 – II ZB 28/12, ZIP 2013, 2454 Rn. 27 ff., 37 []
  5. verneinend Kersting in Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, S. 651, 666 f.; ders., ZIP 2009, 2317, 2320; Pöschke, ZIP 2010, 1221, 1224; aA Kocher/Lönner, AG 2010, 153, 155 []
  6. BGH, Urteil vom 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1, 19 []
  7. BGH, Urteil vom 16.02.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rn. 43 – Kirch/Deutsche Bank []
  8. BGH, Urteil vom 15.06.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1, 17; OLG Düsseldorf, WM 1991, 2148, 2152; Decher in Großkomm.AktG, 4. Aufl., § 131 Rn. 301; Grigoleit/Herler, AktG, § 131 Rn. 43; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 131 Rn. 25; Kersting in KK-AktG, 3. Aufl., § 131 Rn. 510 f.; MünchKomm-AktG/Kubis, 3. Aufl., § 131 Rn. 113; Ebenroth, Das Auskunftsrecht des Aktionärs und seine Durchsetzung im Prozess, 1970, S. 83 []
  9. Kersting in KK-AktG, 3. Aufl., § 131 Rn. 512; Decher in Großkomm.AktG, 4. Aufl., § 131 Rn. 301; Heidel in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., § 131 Rn. 62; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl., § 131 Rn.20; s. auch BGH, Urteil vom 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1, 20; Urteil vom 16.02.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 Rn. 43 []
  10. vgl. OLG Düsseldorf, WM 1991, 2148, 2152; MünchKomm-AktG/Kubis, 3. Aufl., § 132 Rn. 32; Decher in Großkomm.AktG, 4. Aufl., § 132 Rn. 33; Grigoleit/Herler, AktG, § 132 Rn. 10; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl., § 132 Rn. 6; Siems in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 132 Rn. 17; demgegenüber den Amtsermittlungsgrundsatz stärker betonend: Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 132 Rn. 18; Jänig/Leißring, ZIP 2010, 110, 114 []
  11. BGH, Urteil vom 23.11.1961 – II ZR 4/60, BGHZ 36, 121, 130 f. zu § 112 AktG 1937; Decher in Großkomm.AktG, 4. Aufl., § 131 Rn. 291; MünchKomm-AktG/Kubis, 3. Aufl., § 131 Rn. 108 f.; Kersting in KK-AktG, 3. Aufl., § 131 Rn. 507; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 131 Rn. 73; Siems in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 131 Rn. 36; Ebenroth, Das Auskunftsrecht des Aktionärs und seine Durchsetzung im Prozess, 1970, S. 127 f.; aA Heidel in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., § 131 Rn. 60; Hommelhoff, ZHR 151 (1987), 493, 511 f.; vgl. auch BGH, Urteil vom 09.02.1987 – II ZR 119/86, BGHZ 101, 1, 8 f. zur Frage, ob ein Begründungsmangel eine Gesetzesverletzung nach § 243 Abs. 1 AktG darstellt []
  12. offen lassend BGH, Urteil vom 09.02.1987 – II ZR 119/86, BGHZ 101, 1, 8; bejahend OLG Dresden, AG 2003, 433, 435; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 131 Rn. 26; Liebscher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 131 AktG Rn. 15; für den Fall, dass dies ausdrücklich verlangt wird, Kersting, KK-AktG, 3. Aufl., § 131 Rn. 505; Decher in Großkomm.AktG, 4. Aufl., § 131 Rn. 291 []
  13. vgl. BGH, Urteil vom 23.11.1961 – II ZR 4/60, BGHZ 36, 121, 130 f. []
  14. BGH, Urteil vom 15.05.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290, 293 []
  15. vgl. auch MünchKomm-AktG/Spindler, 3. Aufl., § 82 Rn. 35 []
  16. vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rn.19 []