Antragsfrist im aktienrechtlichen Spruchverfahren

Die Antragsfrist im Spruchverfahren wird auch durch rechtzeitigen Eingang beim unzuständigen Gericht, das den Rechtsstreit an das zuständige Gericht verweist, gewahrt.

Auch mit dem beim unzuständigen Landgericht eingereichten Antrag wurde die Frist des § 4 SpruchG gewahrt, ungeachtet dessen, dass der Antrag infolge der Verweisung von dort erst nach Fristablauf beim Landgericht Stuttgart eingegangen ist. Das SpruchG enthält keine Regelung zur Verweisung bei Unzuständigkeit des zuerst angegangenen Gerichts, ebenso wenig das nach § 17 Abs. 1 SpruchG a.F. ergänzend heranzuziehende FGG. In echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, zu denen auch das Spruchverfahren zählt, war deshalb nach der bis 31.08.2009 geltenden Rechtslage § 281 ZPO entsprechend anwendbar1; nunmehr – hier noch nicht einschlägig – ergibt sich die Verweisungsmöglichkeit aus § 3 Abs. 1 FamFG.

Durch die Anhängigkeit bei einem anderen Gericht (§ 281 Abs. 2 Satz 1 ZPO) bleibt die Verfahrenseinheit erhalten und gegenüber dem unzuständigen Erstgericht vorgenommene Prozesshandlungen wirken fort, weshalb auch Ausschlussfristen durch einen gegenüber einem unzuständigen Gericht erhobenen Antrag gewahrt bleiben, wenn das Verfahren anschließend an das zuständige Gericht verwiesen wird. Dies gilt nicht nur für Spruchverfahren nach der vor Inkrafttreten des SpruchG geltenden Rechtslage2, sondern auch für Anträge, die nach dem SpruchG eingehen3.

Aus der in dem Zusammenhang vielfach angeführten Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 2 SpruchG zur Fristwahrung durch Einreichung bei jedem zunächst zuständigen Gericht in den Fällen des § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 SpruchG lässt sich nicht der zwingende Umkehrschluss ziehen, dass in allen übrigen Fällen nur der Eingang beim zuständigen Gericht die Frist wahrt4. Es geht dabei um die besonderen Fälle, dass mehrere Gerichte für Spruchverfahren über eine Strukturmaßnahme zuständig sein können, weil Anteilseigner mehrerer Rechtsträger mit Sitz in verschiedenen Bezirken antragsberechtigt sein können. § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 SpruchG lassen dafür Verweisungen oder Gerichtsstandsbestimmungen zu, um Verfahren, die über den gleichen Gegenstand bei mehreren „an sich“, also „zunächst“ zuständigen Gerichten anhängig sind, bei einem, dann nur noch alleine zuständigen Gericht zu konzentrieren. Der Gesetzgeber wollte mit der Regelung in erster Linie für diese Sonderfälle gegenüber einer früheren verfehlten Rechtsprechung klarstellen, dass es für die Fristwahrung nicht darauf ankommt, bei welchem dieser Gerichte welcher Antrag eingeht5. In dieser Klarstellung dessen, was ohnehin gilt, erschöpft sich der Regelungsgehalt des § 4 Abs. 1 Satz 2 SpruchG, der auch nicht bestimmt, dass „nur“ der Eingang bei einem zunächst zuständigen Gericht die Frist wahre6; er schließt deshalb auch keine Regelungslücke7. Hätte der Gesetzgeber gerade für das Spruchverfahren von dem allgemeinen, für Zivilprozesse wie FG-Streitverfahren gültigen Verfahrensgrundsatz der Verfahrenseinheit und Fristwahrung bei Verweisung vom unzuständigen an das zuständige Gericht abweichen wollen, hätte er das regeln können und müssen. Auch die Gesetzesbegründung gibt für einen dahingehenden Willen des Gesetzgebers oder auch nur ein Problembewusstsein in dieser Hinsicht keinen Anhaltspunkt8.

Das Verständnis der herrschenden Meinung setzt sich auch in Widerspruch zu der Regelung für die Rechtswegverweisung (§ 17 GVG), die auch in Spruchverfahren gilt und also dazu führt, dass der Eingang bei einem rechtswegfremden Gericht die Frist wahrt9. Dann muss dies erst recht – ohne ausdrückliche abweichende Regelung – für die Einreichung bei einem örtlich unzuständigen Gericht im selben Rechtsweg gelten.

Dem lässt sich ferner nicht entgegenhalten, dass die Antragsfrist mit drei Monaten reichlich bemessen sei. Dies ist sicher richtig und es ist bei dieser vom Gesetzgeber großzügig bemessenen Frist nicht recht verständlich, dass – wie regelmäßig bei Neueingängen in Spruchverfahren zu beobachten – die Eingänge erst in den letzten Tagen der Frist zunehmen, sich am allerletzten Tag häufen und etliche Antragsteller ihre Anträge in den letzten drei Stunden dieses Tages per Fax übermitteln, wo sie damit rechnen müssen, dass das Gerät überbeansprucht ist. Ein tragfähiges Argument lässt sich daraus indessen nicht ableiten, denn Fristen dürfen grundsätzlich ausgenutzt werden.

Schließlich wird zu Recht für die Fristwahrung bei Verweisung angeführt, dass die Bestimmung des zuständigen Gerichts infolge der landesrechtlichen Zuständigkeitskonzentrationsvorschriften nicht immer einfach ist10. Das gilt auch dann, wenn man mit einigem Recht annimmt, dass die betroffenen Antragsteller oder ihre Verfahrensbevollmächtigten oft erfahrene Verfahrensbeteiligte in Spruchverfahren sind und in aller Regel wissen oder den einschlägigen Kommentaren entnehmen können, welche Gerichte für Spruchverfahren zuständig sind. Der Kammer zeigt sich die Problematik deutlich etwa an Unsicherheiten, die die Gesetz- und Verordnungsgeber infolge der Neuregelungen zur freiwilligen Gerichtsbarkeit ab 01.09.2009 zu verantworten haben: damit wurde die Ermächtigungsgrundlage für eine Zuständigkeitskonzentration in § 2 Abs. 4 SpruchG aufgehoben und neu in § 71 Abs. 4 GVG platziert. Die Meinungen gehen darüber auseinander, ob dies landesrechtliche Konzentrationsvorschriften aus der Zeit vor dem 01.09.2009 berührt, wenn sie vom Landesverordnungsgeber – wie in Baden-Württemberg – nicht angepasst wurden11. Das hatte zur Folge, dass in bei der Kammer nach dem 01.09.2009 anhängig gewordenen Spruchverfahren Unsicherheiten über die örtliche Zuständigkeit entstanden und deshalb Anträge bei verschiedenen Gerichten eingegangen sind, die erst durch Verweisungen zusammengeführt werden konnten.

Schließlich konnte der Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung zwar offen lassen, wie er für die Rechtslage nach dem SpruchG entscheiden würde. Der Satz, es sei nicht sicher, dass nicht auch im Verfahren nach dem SpruchG, das einem kontradiktorischen Verfahren noch näher stehe, § 281 ZPO entsprechend angewendet werden müsse12, ist aber ein deutlicher Hinweis darauf, wie der Bundesgerichtshof die Rechtslage einschätzt13.

Landgericht Stuttgart, Beschluss vom 29. Juni 2011 – 31 O 179/08 KfH AktG

  1. BGHZ 166, 329 m.w.N. []
  2. dafür ausdrücklich BGH a.a.O. []
  3. Drescher in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 4 SpruchG Rn. 9 m.w.N. auch zur überwiegend in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Gegenmeinung; ebenso Wälzholz in Widmann/Mayer, UmwR, § 4 SpruchG Rn.19 ff; Kollrus MDR 2009, 607, 609; wohl auch Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl., § 4 SpruchG Rn. 5 a []
  4. Drescher a.a.O.; Wälzholz a.a.O. []
  5. vgl. BT-Drucksache 15/371, S. 13; Drescher a.a.O. []
  6. Drescher a.a.O.; Wälzholz a.a.O. Rn.20 []
  7. a.A. Mennicke BB 2006, 1242, 1243 []
  8. ebenso Wälzholz a.a.O. Rn.20 []
  9. vgl. BGH a.a.O. []
  10. Drescher a.a.O. § 4 Rn. 9 a.E. []
  11. vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen etwa Kubis in MünchKomm-AktG, 3. Aufl., § 2 SpruchG Rn. 11; Drescher a.a.O. § 2 Rn. 6; Krieger/Mennicke in Lutter, UmwG, 4. Aufl., § 2 SpruchG Rn. 15 []
  12. BGH, a.a.O. Tz 18 []
  13. vgl. auch Emmerich a.a.O.; Weingärtner in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl., § 4 SpruchG Rn. 12 []